Diese “Nabucco”-Aufführung (als Wiederaufnahme der Produktion aus dem Jahr 2019) hatte einiges, was man zuhause in Hamburg nicht bekommt. Das beginnt mit E wie exzellenter Titelrollensänger, geht über I wie Inszenierung, mit der man leben kann, um bei L wie (Hamburger) Lieblingstenor zu enden.
Lucio GALLO ist ein auch idealer Nabucco. Punkt. Stimmlich wie auch in der Darstellung so agil, präsent, zeichnet er den Weg des babylonischen Königs in den Wahnsinn mit angsteinflößender Authenzität. Der Bariton kann durchaus auftrumpfen, doch die wirklich faszinierenden Momente entstehen, wenn er durch Phrasierung und Dynamik fein abgestuft eine echte Figur zwischen Größenwahn und liebendem Vater entwickelt. „Dio di Guida“ hört man nicht alle Tage so packend wie an diesem Abend.
Anna PIROZZI als Abigaille fiel dagegen dann doch deutlich ab. Grundsätzlich dürfte das Potential vorhanden sein, diese Rolle zu singen und zu spielen, allerdings waren an diesem Abend zuviele angeschliffene Töne und verrutschte Höhen zu hören.
Alexander Vinogradov als Zaccaria war von der Regie recht stiefmütterlich behandelt worden. Szenisch verschwand er mehrfach in den Chormassen, stimmlich durchmaß der Baß die Partie eindrucksvoll. Nicht verschwiegen werden sollte, daß man bei ihm, wie bei vielen Bässen in der Mitte der Karriere kleinere Probleme hören kann, die sich hoffentlich in den nächsten Monaten wieder legen werden.
Ismaele kann leicht zur tenoralen Dekoration am Rande werden, Einspringer Dovlet NURGELDIYEV zeigte bei seinem Zürich-Debüt aber, daß dies nicht der Fall sein muß. Seine Stimme ist nach wie vor ausgesprochen schön, besticht mit ihrem warmen Schmelz, den der Tenor klug einzusetzen weiß, und ihrer so mühelos wirkenden Flexibilität. In dieser Produktion bekam er zudem die Möglichkeit, der Figur Verve und Temperament zu verleihen und sie ganz im Sinne eines frühen Verdi-Helden zu entwickeln.
Phänomenal war auch Alisa KOLOSOVA als Fenena. Die Figur war durch die Regie erheblich aufgewertet, und die Sängerin war mit ihrem warmen Mezzo, der zu keinem Zeitpunkt gefährdet klang, eindeutig auch stimmlich die Siegerin im Kampf der beiden Schwestern.
Beeindruckend in Gesang und Auftreten präsentierte sich Stanislav VOROBYOV als Oberpriester. Der Gegenspieler – nicht allein zu Zaccaria, sondern auch zu Nabucco – war in seinen Händen ganz der eigentlich unsympathische Opportunist, der mit in allen Lagen ausgesprochen schönen Stimmmaterial und viel Präsenz begeisterte. Daß Nabucco ihn im Finale einfach niederschießt, war als Effekt gut, hatte er ob dieser Leistung aber nicht verdient. Alejandro DEL ANGEL und Yuliia ZASIMOVA ergänzten als Abdallo und Anna.
Die musikalische Leitung oblag Donato RENZETTI, der einen frühen Verdi mit Verve dirigierte und gut auf die Sänger einging. Er hatte die PHILHARMONIA ZÜRICH jederzeit im Griff und ließ das Stück im Graben einfach stattfinden, anstatt eine Auffassung durchzusetzen.
CHOR und ZUSATZCHOR der Oper Zürich, ergänzt durch Chorzuzüger (Einstudierung: Janko KASTELIC) waren nicht auf diesem Niveau. Da wackelte doch einiges, und der Aufschrei nach Freiheit im Gefangenenchor kam nicht über die Rampe.
Andreas HOMOKI läßt die Geschichte des Babylonier-Königs in der Entstehungszeit der Oper spielen. Sein Fokus liegt sehr stark auf der Familiengeschichte Nabuccos. Natürlich fragt man sich immer mal wieder, weshalb diese Verdi-Oper „Nabucco“ und nicht „Abigaille“ heißt, aber in diesem Fall ist der Focus so stark, daß andere Figuren und gerade auch der Konflikt Polytheismus – Monotheismus auf der Strecke bleiben. Beinahe fragte man sich, wie es eigentlich plötzlich zu „Dio di Giuda“ kam, und weshalb der Chor solche Panik vor Nabucco hatte (wo er doch in den Rückblenden gleichbleibend nett zu den beiden kleinen Mädchen war, die Abigaille und Fenena als Kinder darstellen…). Hinzu kam, daß der sich anbahnende Konflikt in der Familie nicht schlüssig durch die Inszenierung erklärt wurde.
Das Bühnenbild von Wolfgang GUSSMANN bestand aus einer bühnenbeherrschenden, drehbaren Wand, die die Bühne in Abschnitte teilte und zudem herauf- wie hinuntergefahren wurde. Sie trug den gleichen Farbton wie die Roben von Abigaille und Fenena bzw. der babylonischen Hofdamen (Kostüme auch Wolfgang Gussmann und Susana MENDOZA), erwies sich stellenweise aber sowohl akustisch als auch für die Kommunikation auf der Bühne als ungünstig. AHS + MK