Es gibt sie – natürlich – die guten, talentierten Sänger jenseits des Boulevards. Wenn man Augen und Ohren offenhält, fallen einem rasch die außergewöhnlichen Talente im täglichen Opernbetrieb auf. Der Tenor Vsevolod Grivnov ist ein Beispiel dafür.
Der Londoner „Independent“ pries bereits 1995 den „charakteristischen russischen Ton in seiner Stimme“, die „New York Times“ erkor seinen Gottesnarren in der „Boris Godunow“-Produktion der Opera Bastille 2002
zu einem der „Highlights des Abends“ und .die „Neue Zürcher Zeitung“ befand im Jahr 2006, er versehe den Novizen Grigori […] mit aller stimmlichen Strahlkraft.
Vsevolod Grivnov wollte nie etwas anderes als Sänger/Musiker werden. Es habe nie einen anderen Berufswunsch gegeben „nur Musiker, vielleicht Dirigent, vielleicht Sänger“, berichtet er. Familiär vorbelastet war er dabei eigentlich nicht. In seiner Familie gehe man anderen Berufen nach, allerdings besitze sein Vater eine sehr gute Stimme, keine professionell ausgebildete, aber eine gute, erzählt der Tenor. Bereits im Alter von fünf Jahren begann seine musikalische Ausbildung. Früh hat er sich mit
Material aus der Klavierbibliothek beschäftigt und sich so die Musik erschlossen.
Nach dem Stimmbruch sang er als Bariton im Chor. Er absolvierte eine Ausbildung zum Chordirigenten und studierte schließlich an der Russischen Gnessin-Musikakademie Moskau Gesang bei Evgeny Belov, einem
Solisten des Bolschoi-Theaters. Nach dem Studium lud ihn die Moscow City Opera ein, dort als Solist zu arbeiten.
Anschließend war er Ensemblemitglied in Nizza sowie an der Royal Danish Opera. Er sang Macduff an der Deutschen Staatsoper in Berlin und Lenski der Deutschen Oper Berlin, trat in dieser Rolle an der Mailänder Scala ebenso auf wie in Prokofieffs „Verlobung im Kloster“ beim Glyndebourne Festival. Seit 2001 ist er Solist am Bolschoi-Theater.
Sein Repertoire ist vielfältig und umfaßt nicht allein das russische Repertoire, mit dessen Interpretation er sich in Europa vornehmlich einem Namen gemacht hat. So finden z.B. Edgardo, Riccardo, Don Ottavio und Cileas Maurizio ebenso einen Platz wie Anatol Kuragin oder der Prinz aus „Rusalka“. Hinzu kommen verschiedenste Konzertwerke, Oratorien und Messen.
Nach seiner Lieblingsrolle befragt, bekennt Vsevolod Grivnov: „Ich mag sie alle… ich mag gute Musik, gute Rollen.“. Neben dem Lenski, seiner ersten Rolle, begeistert ihn im russischen Repertoire insbesondere Albert in Rachmaninows „Der geizige Ritter“, den er u.a. in diesem Juli in der Lübecker MuK sang.
Für Tenöre gebe es sehr viel schöne Musik, sagt er. „Ich habe auch bereits moderne Musik gesungen.“ Darunter die Faust-Kantate von Alfred Schnittke. „Das ist eine sehr schwierige Rolle für den Tenor, sehr, sehr hoch, aber ich mag es.“ Andererseits sei er konservativ. Ihm gefallen die Partien Verdis, Donizetti, Tschaikowski etc.
In diesem Jahr kam Vsevolod Grivnov im Rahmen des Schleswig-Holstein Musikfestivals nach Norddeutschland. Er trug während dreier Konzerten in Lübeck, Kiel und der Hamburger Musikhalle dazu bei, dem deutschen Publikum den diesjährigen Schwerpunkt, die russische Musik, näher zu bringen.
Im September wird er in San Francisco den falschen Dimitri in „Boris Godunow“ und anschließend Alfredo in der „La Traviata“, eine Rolle, die er sehr mag, singen. Danach kann man ihn in Dublin in Tschaikowskis
„Mazeppa“ hören. In Lissabon wird er in Rossinis „Stabat Mater“ singen. Zudem sind in Spanien Konzerte, u.a. Mendelssohns „Walpurgisnacht“ mit dem Navarra Symphony Orchestra im März 2009, geplant. Ein Galakonzert mit Vsevolod Grivnov, begleitet vom Bilkent Symphony Orchestra, wird es Anfang April 2009 in Ankara geben.
In bezug auf Inszenierungen wünscht der Tenor sich „talentierte Regisseure“. Es sei wichtig, daß die Inszenierung und Musik zusammengehen, „wenn Musik und Inszenierung getrennt werden, ist das
furchtbar“.
Begeistert berichtet er von der Zusammenarbeit mit gleich drei Dirigenten der Familie Jurowski: Vladmir, mit dem ihn eine Freundschaft verbindet, Dmitri, mit dem er im vergangenen Februar auftrat, und – bei
verschiedenen Konzerten und Aufnahmen – Michail Jurowski.
Abseits seines Berufslebens hört er neben Oper und sinfonischer Musik am liebsten Jazz. Seine Liebe gehöre dem Klavierjazz. Peterson, Garner und Bill Evans seien seine Favoriten.
In Bezug auf eigene Tonträger sei die Aufnahme der Kölner Aufführung von Alexander Dargomyschskis „Russalka“ in Arbeit, erzählt er. Sehr wichtig sind ihm die CD-/DVD-Produktion „La Rossignol“ mit James Colon sowie die Aufnahme von Tschaikowskis „Opritschnik“ aus Cagliari. Aber gerade auch die Produktionen der Firma Chandos bieten ein sehr lebendiges Bild über Stimme und Repertoire dieses Sängers. Neben Glasunovs Krönungsmesse und dessen Erinnerungskantate liegen hier CD-Produktionen vom „Geizigen Ritter“, Symanowskis „Stabat Mater“ und Schostakowitschs 10. Sinfonie vor.
Schlußendlich sei allerdings von unserer Seite ein Liveerlebnis unbedingt empfohlen. Wenigen Sängern gelingt schlußendlich so mühelos das Wandern zwischen den musikalischen Welten.
AHS (August 2008)
P.S. Vielen Dank an Etta Morgan von Askonas Holt, London für all die Mühe. Thank you sooo much!