„Gräfin Mariza“ – 22. Juni 2014

Freilufttheater ist im Sommer ausgesprochen beliebt, in mitteleuropäischen Breiten aber auch immer ein witterungsbedingtes Vabanquespiel. Doch der Wettergott meinte es gut mit der Opera na Zamku, und so ging der Premierenabend der aktuellen Operettenneuproduktion wenn auch etwas kühl, zumindest trocken über die Bühne.

Die Grundidee dieser Produktion ist wirklich gut. Emmerich Kálmáns Operette „Gräfin Mariza“ spielt um das Jahr 1924. Weshalb also nicht auch das Lebensgefühl der zwanziger Jahre auf die Bühne bringen? Mariza ist Mittelpunkt der mondänen Gesellschaft. Ihre Freunde aus der Theater und Cabaret umgebenen Welt folgen ihr auf ihr Landgut, und die heile Welt aus traditionellem Landleben, Zigeunermusik und Csárdás-Seligkeit trifft damit auf dieses so andere neue Lebensgefühl mit allen seinen Facetten kulturell wie sexuell.

Während auf der Bühne eher Minimalismus mit vielen künstlichen Nebelschwaden und einigen, zum Teil ausgesprochen fantasievollen Requisiten auf der Tagesordnung stand, war Mehr Farbe! eindeutig das Motto für die Kostüme (Bühnenbild und Kostüme: Martyna KANDER). Besonders prachtvoll waren die Gewänder für die Gräfin selbst, wenn sie auch für eine andere Sängerin gemacht zu sein schienen.

So gut die Idee, so problematisch teilweise die Umsetzung. Regisseurin Natalia BABINSKA versucht, den Spagat zwischen unterhaltender Operette und sanfter Modernisierung, wobei Spaß auf der Bühne und für das Publikum ganz klar im Vordergrund stand.

Leider geht vor lauter Albernheit bei einigen Figuren der Fokus komplett verloren. Daß Liebenbergs (Janusz LEWANDOWSKI) Exzentrik durch sein Erscheinen mittels vorsintflutlichem Fluggerät und Kolomán Zsupáns fremdartige Herkunft mittels Anreise auf einem fliegenden Teppich verdeutlicht werden, ist durchaus rollenkonform und witzig, doch daß Zsupán ausschließlich durch komplettes Geblödel charakterisiert und Lisa als ich-bezogener, ausschließlich spaßorientierter Teenager hingestellt wurde, stahl dem zweiten Paar des Stücks viel Charakter und Geschichte. Schade, denn Piotr ZGORZELSKI sang seine Rolle nicht nur ausgesprochen schönstimmig und mit viel Verve, sondern bewies auch einiges an tänzerischem Talent. Und auch Ewa OLSZEWSKA kann deutlich mehr als ihr hier zugetraut wurde. Ihre Lisa wirkte so aber ausschließlich flatterhaft. Weshalb Tassilo besorgt ist, daß seine Schwester hinter den wahren Grund seiner Maskerade kommt, blieb offen. Dieser Lisa wäre vermutlich ohnehin nichts aufgefallen.

Tomasz LUCZAK versuchte sein Bestes, als Fürst Populescu jenes frivole Spiel zwischen den Welten auf die Spitze zu treiben, punktete dann aber eher stimmlich als beim Schwingen der Reitgerte. Für Manja hatte man besonders tief in die Kostüm- und Make up-Klischeekiste gegriffen, was Malgorzata KUSTOSIK allerdings nicht davon abhielt, mit ihrer kleinen Rolle gerade stimmlich viel Effekt zu machen. Adam JELEN war als Tschekko ein grandioser Szenendieb, und im letzten Akt sorgten Gabriela ORLOWSKA-SILVA als Fürstin Guddenstein sowieso Wieslaw LAGIEWKA als Penižek für jene Lacher, die tatsächlich von Herzen kamen.

Herz fehlte einem bei der Mariza des Abends. Joanna TYLKOWSKA-DROZDZ wirkte stimmlich und auch in der Darstellung eher bemüht denn wie die junge, lebenslustige Gräfin. Die so unbedingt notwendige Leichtigkeit vermißte man schmerzlich. Kurz, man hatte eher den Gedanken an eine ungarische Variante von „Sunset Boulevard“ denn an Kalmans Operette.

Wenig Zauber dort, umso mehr dafür beim Partner. Pawel WOLSKI formte den Charakter mit einer sorgsam ausgewogenen Mischung aus Tragik und Überschwang und war stets präsent. Es gab kein Ausruhen für die großen Nummern der Partie, und trotzdem klang seine Stimme, die mit ihren vielen Klangfarben und Nuancen perfekt zu Kálmáns Tassilo paßt, am Ende ebenso frisch wie zu Beginn des Abends. Ob gespielt oder schlicht echte Freude an der Partie, es war ein Vergnügen, ihm zuzuhören.

Der CHOR der Opera na Zamku (Leitung: Malgorzata BORNOWSKA) war ausgesprochen gut disponiert und mit viel Spielfreude dabei. Egal, ob als Hintergrundstaffage oder beim großen Auftritt, den Damen und Herren zuzusehen/-hören, war Spaß pur.

Größtes Manko der Produktion waren die Tanzszenen. Angekündigt als Choreografie mit Energie ähnlich der in Videos und auf Konzerten von Beyoncé oder Pina Bausch, was man an der Arbeit der Choreografen Karol URBANSKI und Jirina NOWAKOWSKA in Teilen durchaus zuordnen konnte, wirkten BALLETT und Statisterie über weite Strecken unkonzentriert, ja sogar ungeprobt, und so tanzt auch in Szczecin im Musiktheater der Chor anscheinend besser als die für den Abend verpflichteten Tänzer. Einzige Ausnahme war jene junge Dame, der man die Funktion einer Fee (?) zugedacht hatte, die mit großer Anmut und Unbeschwertheit über die Bühne schwebte.

Ein wahrer Meister seines Fachs ist Dirigent Jerzy WOLOSIUK, der den Abend mit viel Gespür für die Musik und deren Entstehungszeit leitete. Er schlug den Bogen zwischen Stück und Produktion, wo es sonst vielleicht mehr geholpert hätte. Unter dem Motto Schmelz statt Schmalz spielte das ORCHESTER mit hoher Professionalität, ohne dabei den Schwung für die leichte Muse außer acht zu lassen. Neben den Musikern auf der Bühne klangen auch ihre Kollegen auf der Bühne in Gestalt der Zigeunerkapelle tadellos. Solo-Violinist Misza TSEBRIY beeindruckte hier nachhaltig. Orchestral war das Operette ganz dicht an der Perfektion.
AHS