Weshalb spielt das eigentlich sonst niemand?
Als wir die Ankündigung lasen, die Opera na Zamku würde eine Oper namens „Robinson Crusoé“ von Jacques Offenbach aufführen, waren die Fragezeichen ziemlich groß. Wie? Offenbach hat eine Oper über den Roman von Daniel Defoe geschrieben???
Er hat. Das Libretto hierzu stammt von Eugène Cormon und Hèctor Cremieux. Die Uraufführung der Oper fand 1867 statt. Danach verstaubte sie wohl in Bibliotheken. Recherchieren lassen sich zumindest nur wenige Aufführungen, was schade ist, denn das Werk vereint nicht nur alle typischen Elemente einer Offenbachschen Opéra comique, sondern verfügt auch über eine ausgesprochen eingängige, aber trotzdem nicht unraffinierte Musik, von der sich rasch der eine oder andere Ohrwurm einschleicht, und fünf höchst dankbare Hauptpartien. Immerhin existiert wohl eine englischsprachige Aufnahme von Opera Rara.
Die Geschichte ist lose von Defoes Roman inspiriert. Sie beginnt im Elternhaus des Abenteurers in Bristol. Robinson Crusoé plant, bevor er die von ihm seine Angebetete Edwige heiratet, in der Welt Glück und Vermögen zu machen. Die Damen des Stücks sind davon wenig angetan, weshalb Robinson letztendlich sich auch ohne seinen ursprünglich vorgesehenen Reisebegleiter Toby auf Weg macht. Toby besitzt nämlich eine recht durchsetzungsfähige Braut namens Suzanne, die ihn resolut von seinen Reiseplänen abzubringen vermag.
Im zweiten Akt ist Robinson bereits auf der Insel in der Orinoco-Mündung gestrandet, auch Freitag hat er bereits getroffen. Beide harren ihres Schicksals, wobei Robinson die Zeit damit verbringt, seine Sehnsucht nach Edwige zu besingen, nicht wissend, daß selbige bereits mit Toby und Suzanne auf dem Weg ist, ihn zu retten.
Das Schiff, auf dem sich der Rettungstrupp befindet, wurde allerdings von Piraten aufgebracht, und so stranden Edwige, Suzanne und Toby auf dem gleichen Eiland wie der Held der Oper. Kaum den Piraten entkommen, fallen sie dem Kannibalenstamm, der ebenfalls auf der Insel lebt, in die Hände. Freitag entdeckt die drei und rettet sie, wobei er sich in Edwige verliebt.
Am nächsten Tag findet Robinson Edwige in der Nähe seiner Unterkunft. Es kommt zu einem heftig besungenen Wiedersehen. Die Frage danach, wie man nach England zurückkehren kann, wird unbeabsichtigt von den Piraten gelöst, die ihr Schiff verlassen haben und sich in der Gier nach einem „Schatz“ von Robinson in die Irre führen lassen. Die Engländer samt Freitag kapern das Piratenschiff. Happyend.
Die Produktion der Opera na Zamku, die gleichzeitig die polnische Erstaufführung des Werks ist, entstand als Koproduktion mit dem Theater Liberec. Sprachlich paßt Polnisch hervorragend zur französischen Musik, wobei wir ob mangelnder Sprachkenntnisse und Vergleichswerte wenig zur Librettobearbeitung durch Jitka Stokalska sagen könnte. Es klang allerdings für keine Sekunde holperig, sondern stets sehr melodisch.
Regisseur Martin OTAVA versteht es hervorragend, die Geschichte stringent und mit viel Witz zu erzählen. Er verzichtete dabei auf jegliche Neu- oder Umdeutung, nicht aber auf (dezente) Situationskomik und aktuelle lokale Bezüge wie z.B. wenn Robinsons Mutter von ihrer Heimatstadt Szczecin berichtet. Durch die nie überfrachteten Szenen und die schlüssige Personenregie verstand man vieles, ohne der polnischen Sprache mächtig zu sein.
Das ebenfalls von Regisseur stammende Bühnenbild ist einfach, auf der gar nicht so einsamen Insel in den verschiedensten Grüntönen gehalten und stets ausgesprochen praktikabel. Die Idee, den als Kannibalen kostümierten Chor als lebendigen Vorhang für die Umbaupausen im zweiten und dritten Akt einzusetzen, ist schlicht genial. Die von Aleš VALASEK geschaffenen Kostüme passen gut zu Stück und Umsetzung. Die teilweise fast übertriebene Farbenfreude tat der Kleidsamkeit keinen Abbruch.
Ein großer musikalischer Pluspunkt dieser Produktion sind die Damen des Ensembles.
Robinsons Braut Edwige wurde von Ewa MAJCHERCZYK großartig verkörpert. Sie verfügt über eine sehr große, weitschwingende, dennoch lyrisch geführte Stimme, bei der einem sofort diverse Repertoirepartien einfallen, die man gerne von ihr hören würde. Dazu sieht sie auch noch wirklich bezaubernd aus (es steht zu vermuten, daß ein Teil des männlichen Publikums sehr genau hingeguckt haben dürften), spielte rollendeckend und schaffte es, daß aus dem librettomäßig eigentlich klischeehafte love interest des Titelhelden eine wirkliche Persönlichkeit wurde.
Agnieszka SOKOLNICKA konnte sich schon allein auf ihre gut klingende, in allen Lagen blitzsaubere Stimme verlassen. Ihre Suzanne war stets präsent, ohne für eine Sekunde soubrettig oder aufdringlich zu wirken. Dabei bildete sie einen hübschen Kontrast zur dramatischeren Stimme Edwiges. Wer in der Beziehung zu Toby die Hosen an hat, machte sie sehr deutlich.
Malgorzata BOROWIK machte mit Temperament und Bühnenpräsenz viel aus der eigentlich recht kleinen Rolle der Deborah Crusoé. Stimmlich überzeugte sie insbesondere mit einem gesanglich astreinen Verdi-Zitat. Von ihr möchte definitiv mehr Eboli hören als den nur Beginn von „O don fatale“.
Als wir eigentlich der Meinung waren, dies alles wäre nicht steigerbar, trat Malgorzata KUSTOSIK als Freitag (bei Offenbach also eine Hosenrolle) auf die Bühne. Zunächst einmal ist festzustellen, daß die Sängerin als in diesem Fall halbwüchsiger Junge absolut überzeugend war, keine Bewegung wirkte, als stünde dort eine Frau in Männerkleidung auf der Bühne. Aber was für eine Mezzostimme kam dann aus diesem „Jungen“! Warm, klug geführt, leidenschaftlich und mit viel Raffinement. Die Sängerin dürfte schon bald auch anderswo von sich hören lassen.
Letztendlich standen die Herren des Ensembles ihren Partnerinnen aber nicht wirklich nach. In der Titelrolle des Robinson Crusoé war Wojciech SOKOLNICKI zu erleben, der sympathisch einen jungen Mann spielte, der noch nicht so recht weiß, was er vom Leben erwarten soll; zum Liebegeständnis müssen ihn Eltern und Angebeteten praktisch tragen. Gesanglich war hier das eine oder andere in den Spitzentönen zu bemängeln, die nicht frei und einige Male angestrengt waren, in den unteren Lagen ließ er jedoch einen angenehm timbrierten Tenor hören.
Tomasz TRACZ überzeugte als Toby mit einer ausgesprochen schönen, lyrischen Stimme und einer zeitweise schon beinahe an Hochleistungssport erinnernden Spielfreude. Wie kann man so auf einer Bühne herumhüpfen, singen und trotzdem nicht außer Atem kommen?! Durch seine Ausstrahlung und sein komisches Talent konnte er für die „bester Freund des Helden“-Partie eine Menge Sympathiepunkte einheimsen.
Piotr ZGORZELSKI (Jean Magodokolan), Tomasz LUCZAK (Atkins) und Miroslaw KOSINSKI (Kucharz) wußten den allgemein positiven Eindruck in ihren kleinen Rollen gut fortzuspinnen. Janusz LEWANDOWSKI konnte als Sir William Crusoé nicht ganz mithalten.
Der CHOR (Leitung: Malgorzata BORNOWSKA) erwies sich als so spielfreudig wie stimmstark. In der Kanibalen-Gesangsszene war er zwar durch die technischen Gegebenheiten etwas benachteiligt. Dafür klang der Piratenchor im letzten Akt dann schon fast wie Verdi pur.
Das ORCHESTER der Opera na Zamku machte diesmal einen wesentlichen besseren Eindruck als bei der ersten Begegnung. Grund hierfür war wohl vor allem die schwungvolle und akzentuierte Leitung durch Piotr DEPTUCH, der Offenbachs Musik mit viel Liebe zum Detail aufspielen ließ.
Dieser Abend brachte etwas, das manchmal bei der leichten Muse vergessen wird. Man hatte als Zuschauer ausgesprochen viel Spaß, und die gute Laune, die man an diesem Abend bekam, hielt ziemlich lange an.
Die Opera na Zamku wird „Robinson Crusoé“ in der kommenden Saison wiederaufnehmen. Das ist definitiv wieder ein Grund, dem anderen Oder-Ufer einen Besuch abzustatten. MK & AHS