Brittens Oper ist ein in vielerlei Hinsicht ungewöhnliches Stück. Zum einen besteht das Orchester aus einer Kammerbesetzung von noch nichtmal zwanzig Musikern und das noch mit Klavier, zum anderen ist es eine der ganz wenigen Opern, in denen es nicht um eine klassische Liebesgeschichte geht. Darüberhinaus ist es die einzige mir bekannte Oper, in der Kinder wirklich tragende Hauptrollen haben.
Der Opera na zamku (Oper im Schloß) in Szczecin gelang mit dieser Produktion etwas sehr, sehr Seltenes: Die Kombination aus einem überragenden Orchester, einer überragenden Produktion und überragenden Sängern. Das polnische Superlativ-Lexikon trägt in der nächsten Auflage vermutlich ein Bild aus dieser Inszenierung…
Diese wurde von Natalia BABIŃSKA verantwortet. Es gelingt ihr auf eine faszinierende Weise, das Mysterium um die Geistergeschichte nicht abschließend zu entschlüsseln, aber wohl eine durchaus schlüssige Sichtweise zu offerieren und dabei noch Interpetationsspielraum übrig zu lassen. Wie viel von dem, was man sieht ist Realität? Wie viel ist pure Fiktion? Wie viel ist die Verarbeitung einer schier unvorstellbaren Situation? Wessen Sicht ist gerade zu sehen? All diese Fragen bleiben dem Zuschauer überlassen.
Der Regisseurin gelingen zudem immer wieder unfaßbar gruselige Bilder, die nicht auf den simplen Thrill setzen, sondern immer Dinge andeuten und den Rest der schon fast überforderten Phantasie vor die Füße werfen. Zusammen mit der schlichten Bühne und den stimmungsvollen Kostümen von Martyna KANDER bildete es eine gespenstische Einheit.
Ewa OLSZEWSKAs Gouvernante füllt ihre Rolle auf sehr hohem Niveau aus. Der Spagat zwischen Realität und Fiktion, Überforderung und Trösterin gelang ihr stets glaubhaft.
Die Mrs Grose von Gosha KOWALINSKA beeindruckte mit einer ausgesprochen schönen und voluminösen Stimme sowie darstellerischer Präsenz.
Pavlo TOLSTOY (Prolog/Quint) füllt die unheimliche Rolle mit erschreckender Dämonie aus. Er braucht nicht laut zu werden, um Angst und Schrecken zu erzeugen. Er weiß ganz genau, wie er welchen Effekt zu erzielen hat, sei es sängerisch oder darstellerisch. Seine „Take it“s zählen zu den atemberaubendsten Phrasen, die ich jemals gehört habe. Sie waren dermaßen zweideutig, daß eigentlich klar war, daß es ihm nicht nur um den Brief geht, den Miles holen soll… Eine wahre Meisterleistung. Bitte mehr davon!
In Bożena BUJNICKA (Miss Jessel) hat er zudem eine kongeniale Partnerin. Insbesondere ihren skurril anmutenden Tanzbewegungen hauchte sie ein ureigenes Leben ein. Zusätzlich zu ihrem schauspielerischem Talent zeigte sie auch noch eine sehr gute Gesangsleistung.
Die Leistung der beiden Kinder Mateusz DĄBROWSKI (Miles) und Agata WASIK (Flora) ist hochgradig beeindruckend. Beiden gelingt es, über den ganzen Abend hinweg konstant ein sehr hohes Niveau zu halten, sowohl stimmlich wie auch darstellerisch sind sie absolut auf Augenhöhe mit ihren erwachsenen und professionell ausgebildeten Kollegen.
Jerzy WOŁOSIUKs Dirigat war ebenso von herausragender Qualität. Er ließ sein ORKIESTRA OPERY NA ZAMKU W SZCZECINIE stellenweise aufwallen als ob es ein 120-Mann-Wagner-Orchester wäre, aber auch kammermusikalisch begleiten, machte nie zu viel, aber auch nie zu wenig.
Fazit: Besser geht’s nicht – nur anders! In der nächsten Saison gibt es noch zwei Gelegenheiten und zwar am 25. und 26. November 2017. WFS