„The Turn of the Screw“ – 4. Juni 2016

Eine andere Formulierung als „schlichtweg sensationell“ fällt uns für diese Produktion einfach nicht ein. Dies war definitiv die beste neue Produktion, die wir in dieser Saison, nein, eigentlich seit mehreren Saisons gesehen haben, und dies schließt größere, namhaftere Häuser mit ein.

Für Brittens Werke brFoto: M. Grotowski © Opera na Zamkuaucht so mancher Zeit. Sie sind im Allgemeinen selten das, mit dem man in die Opernwelt einsteigt. Diese Produktion beweist allerdings, wie falsch das eigentlich ist.

Regisseurin Natalia BABIŃSKA läßt das Stück zeitlich dort stattfinden, wo es spielt, nämlich Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Die Ausstattung von Martyna KANDER ist schlicht, die verschiedenen Räume und Bereiche des Herrenhauses werden mit sparsamen, aber wirkungsvollen Projektionen (Ewa KRASUCKA) angedeutet.

Die gesamte Atmosphäre bewegt sich zwischen gothic novel und einem Tim-Burton-Film. Insbesondere die Personenführung der Regisseurin ist außergewöhnlich. Die Figuren werden fast choreographisch bewegt, gerade die beiden Geistererscheinungen scheinen sich in einem düsteren Tanz zu bewegen, der von der Gouvernante nach und nach übernommen wird, je mehr sie in das Geschehen gerät. Es entsteht ein derart subtiler Grusel, daß wir in der Pause darauf hofften, nicht bei Dunkelheit in unsere Unterkunft zurückkehren zu müssen…

Foto: M. Grotowski © Opera na Zamku

Auch die musikalische Seite ist absolut hochklassig. Bemerkenswert ist dabei, daß keiner der Sänger älter als Mitte dreißig ist, also nach Opernmaßstäben blutjung, und dabei sämtlich große Talente darstellen.

Aleksandra WIWAŁA als Gouvernante spielt das Spiel um die Frage, was Realität und was Fantasie ist, ausgesprochen glaubhaft. In ihren Bewegungen, ihrer Charakterisierung der Figur scheint sie just jener Zeit entstiegen. Auch stimmlich ist es ihr gegeben, die Rolle virtuos und makellos mit Leben zu füllen. Wie schön, eine so großartige junge Künstlerin zu hören.

In jeder Sekunde überzeugend gibt Gosha KOWALINSKA die Mrs Grose. Die tadellos geführte, ausgesprochen schöne Stimme unterstreicht mit ihrer Reife, den Eindruck der erfahrenen Haushälterin, die auch in der Darstellung so perfekt gelingt, daß man um nichts errät, wie jung die Künstlerin eigentlich noch ist. Eine perfekte Verwandlung.

Hubert STOLARSKI als Prolog und Quint weiß sich geisterhaft mit geradezu tänzerischer Leichtigkeit zu bewegen und wird stimmlich den Partien vollauf gerecht. Da gibt es keine angestrengten Töne, es ist glaubhaft, daß Quint Miles auch allein mit der Stimme in seinen Bann ziehen kann. Bożena BUJNICKA (Miss Jessel) singt mit warmer Stimme und liefert darstellerisch Stoff für Albträume, ohne dabei auf vordergründige Schockeffekte zu setzen. Es reicht teilweise schon, daß sie einfach nur dasteht.

Foto: M. Grotowski © Opera na Zamku

Die beiden Kinder Miles (Mateusz DĄBROWSKI) und Flora (Agata WASIK) spielen erschreckend natürlich zwei besessene Wesen. Sie meistern dabei ihre gesanglichen Aufgaben ohne Fehl und Tadel, harmonisieren stimmlich perfekt und sind ihren erwachsenen Kollegen sowohl musikalisch, als auch darstellerisch absolut ebenbürtig.

Jerzy WOŁOSIUK hat mit dieser Produktion seinem Haus die perfekte Symbiose aus Inszenierung und musikalischer Umsetzung geschenkt. Hinzu kommt sein besonnenes, aber keine Sekunde leidenschaftsloses Dirigat, bei dem die Liebe zum Werk stets herauszuhören ist. Ein rundum vollkommenes Meisterstück.

Das ORKIESTRA OPERY NA ZAMKU W SZCZECINIE meistert die ungewohnte Partitur fehlerlos. Die sorgsam ausgearbeitete Interpretation lädt zum Zuhören ein und begeistert restlos. Der Klangkörper besteht die Herausforderung jenseits des Standardrepertoires so uneingeschränkt, daß man auf weitere solcher musikalischen Ausflüge in nicht allzu ferner Zukunft hofft.

Das Publikum dankte es den Künstlern nicht nur mit begeistertem Applaus am Ende des Abends, sondern auch mit einer während der gesamten Aufführung spürbaren konzentrierten, auf Bühne wie Musik fokussierten Aufmerksamkeit.

Die Produktion, welche die polnische szenische Erstaufführung des Stückes darstellt, wird in die nächste Spielzeit übernommen und im November 2016 und März 2017 erneut aufgenommen. Wer das verpaßt, dem ist nicht zu helfen.
AHS & MK

Fotos: M. Grotowski © Opera na Zamku