„Carmen“ (Kino-Übertragung) – 1. November 2014

Oper im Kino ist sicher nicht mit Anwesenheit im Saal zu vergleichen, aber für die meisten Menschen sicher die einzige Möglichkeit eine Aufführung aus der Met einmal zu Gesicht zu bekommen.

Laut Einführung durch Mezzosopranistin Joyce DIDONATO wurde die Handlung ins Spanien unter Franco der 1930er verlegt – aber solange man sich als Zuschauer nicht gerade mit spanischen Uniformen auskennt, hätte man davon wahrscheinlich auch nicht wirklich was gemerkt.

Eine grundlegende Kulisse war eine Arenaruine, je nach Szene angepaßt. Sie umschloß den Platz, in dem der Großteil des ersten Akts stattfand, Lillas Pastias Taverne im zweiten und das Lager der Schmuggler im dritten; die Polizeiwache im ersten Akt befand sich auf der Außenseite, ebenso der Handlungsort des vierten Akts. An den Bruchstellen, wo das Innere der Mauer sichtbar wurde, war dieses Innere blutrot angemalt. Diese Farbe war überhaupt ein sich wiederholendes Motiv. Am deutlichsten wurde dies im Vorhang, der aus zwei schwarzen Teilen bestand, die zwischen sich durch einen blutroten „Blitz“(oder ein Blutrinnsal?) freiließen. Dieses Bild wiederholte sich in Carmens Kleid im vierten Akt.

Ungewohnt war die Wahl, „Carmen“ mit Guirauds Rezitativen anstatt der originalen Sprechtexte aufzuführen. Mir war zwar die Existenz dieser Rezitative bekannt, aber ich wußte nicht, daß sie jemand noch verwendet.

Musikalisch hatte ich hohe Erwartungen an die Met, und diese hat sie auch voll und ganz gehalten.

Ein überzeugender CHOR und ein begeisterndes ORCHESTER, dirigiert von Pablo HERAS-CASADO waren da nur der Anfang. Selbst die kleineren Rollen waren gut besetzt, und ich werde das Gefühl nicht los, daß ein Großteil der Sänger viel Spaß an ihren Rollen hatte.

John MOORE sang einen sehr ironischen Moralès, der mir sehr zugesagt hat. Keith MILLER spielte Zuniga eher schmierig, und sein tiefer Baß war toll anzuhören.

Mercédès (Jennifer JOHNSON CANO) und Frasquita (Kiri DEONARINE) treten so sehr im Doppelpack auf, daß ich keine Chance habe, noch zu sagen, wer hier wer war. Jedenfalls waren sie beide schön anzuhören und scheinen Carmens Spaß an der Rolle zu teilen, auch wenn sie von ihr ziemlich an die Wand gesungen wurden.

Sowohl Malcolm MECKENZIE als Dancairo und Eduardo VALDES als Remendado klangen gut, ohne herausragend zu sein. Schauspielerisch ergänzten die beiden sich jedoch gut und brachten mich mehr als einmal zum Grinsen. Es war in einem solchen Moment, daß ich mir wünschte, man hätte sich doch für die Sprechtexte entscheiden, die den beiden etwas mehr Dialoge geben.

Antia HARTIGs Micaela war ein überzeugendes Naivchen, mit schöner, klarer Sopranstimme, aber leider auch nicht viel mehr. Ohne irgendwelche Ecken und Kanten konnte sie zwar nichts schlecht machen, aber auch nichts besonders gut. Passend zur Rolle, aber im Gedächtnis ist sie mir so nicht geblieben.

Ildar ABRAMASOV gehörte zu den Sängern, die in der Pause interviewt wurden, und da bekam ich ganz stark das Gefühl, daß er letztendlich nur sich selber spielte. Das allerdings, wie einige, wohl mit viel Freude und sehr erfolgreich. Stimmlich konnte er mich nicht ganz so überzeugen, in der Tiefe wurden die Töne hin und wieder etwas schwach, trotzdem hinterließ er einen positiven Gesamteindruck.

Über Alexandrs ANTONENKO als Don José etwas zu sagen, fällt mir ein bisschen schwer. Er singt wirklich gut und ist, für sich genommen, bestimmt ein toller Sänger, aber in dieser Produktion, immer direkt neben dieser Carmen, wirkte er einfach etwas blaß. Das sorgt zwar für einen tollen schauspielerischen Eindruck, aber führt letztendlich auch dazu, daß Antonenko mir einfach nicht im Gedächtnis blieb, weil er in fast jeder Szene von Carmen übertrumpft wurde.

Anita RACHVELISHVILI ging in der Pause so weit als zu sagen, daß sie Carmen sei – aber wirklich protestieren kann man da nicht. Selten sieht man einen Sänger eindeutig so viel Spaß mit einer Rolle haben. Rachvelishvili spielte Carmen mit unverhohlener Erotik, fand jedoch eine gute Balance, so daß man sich als Zuschauer nicht den Eindruck bekam, daß hier nur auf Teufel-komm-raus Tabus gebrochen wurden. Stimmlich dominierte sie ebenfalls die Bühne mit kräftiger, aber fein timbrierter Stimme, die auch in Piano-Passagen nichts einbüßte. Ihr gebührt wirklich ein großes Lob für ihren Auftritt.

Insgesamt eine wirklich gute Aufführung, die, wie ich denke, durch die Übertragung auch nicht signifikant etwas eingebüßt hat.
NG