„Andrea Chénier“ – 22. März 2017

Umberto Giordanos einzige bekannte, aber großartig komponierte Verismo-Oper, deren Handlung in der französischen Revolution spielt, wo man den jungen Freiheitsdichter André Chénier völlig zu Unrecht auf die Guillotine schickte, kam nach Jahrzehnten des Wartens nun endlich an der Bayerischen Staatsoper zur Aufführung. Diese dramatische Komposition Giordanos, in welcher er sogar Motive der Revolutionslieder, wie der „Marseillaise“, der „Carmagnola“ und „Ca ira“, verwendete, ist ungeheuer beeindruckend und verlangt mit einigen berühmten Arien der Hauptprotagonisten Bestinterpreten des Gesangs, einen Dirigenten, der Verismo dirigieren kann und dazu noch einen Regisseur, der das Milieu der französischen Revolution eindrucksvoll auf die Bühne bringen kann.

All das ist hier vollkommen gelungen. Der Regisseur Philipp STÖLZL kam auf die brillante Idee, ein Einheitsbühnenbild, das die Bühne aufteilt in kleingliedrig verschiedene Räume, vor allen Dingen in oben und unten, in Zusammenarbeit mit Philipp KRENN und Heike VOLLMER zu schaffen, indem er die einzelnen Handlungsmotive Stockwerk für Stockwerk dem Publikum nahebringen konnte. Vor allen Dingen konnten dadurch die Lebensverhältnisse des Adels und des sogenannten Pöbels gut erzählbar auf die Bühne gebracht werden, die schließlich zum Ausbruch der Revolution führten. In den oberen Stockwerken vergnügt sich und schwelgt der Adel im Überfluß, und im Tiefparterre hungerte das Volk (1.Bild). Auch in den folgenden Bildern konnte durch diese Regieidee das Leben während der Revolution aufgezeigt werden, während er Schlußbild mit Gefängnis und Schafott dem Publikum in voller Größe aufzeigte. Besonders „veristisch“ das Zeigen des abgeschlagenen Kopfes des Chénier am Schluß der Oper. Dazu schuf Anke WINKLER die zeitgerechten Kostüme. Auf diese geschilderte Weise wurde dem Publikum die französische Revolution mit ihren Entstehungsmotiven sehr gut nahegebracht, dazu erhielt jeder Interessent in der Pause noch durch einen Revolutionär (ein zeitgerecht kostümierter Statist) die damalige Menschenrechtserklärung in Form eines sehr gut illustrierten Infoblattes ausgehändigt. Dazu muß einmal auch das sehr gut gestaltete informative Programm erwähnt werden.

Für die musikalische Interpretation waren hervorragende Künstler am Werk. Der Dirigent Omer Meir WELLBER, offenbar ein Fachmann für Verismo, führte das BAYERISCHE STAATSORCHESTER brillant durch den Abend, und zeichnete sich auch durch gute Sängerführung aus.

Jonas KAUFMANN in der Titelpartie begeisterte wieder einmal sein Münchener Publikum durch eine perfekte Darstellung seiner Rolle, vor allen Dingen in seiner Auftrittsarie „Un di all‘azzurro spazio“ flogen ihm schon die Herzen des Publikums zu. Leider neigte die Stimme an diesem Abend zu einer leichten Forcierung, die möglicherweise mit einer noch nicht auskurierten Krankheit in Verbindung gebracht werden könnte, besonders auffällig gerade in der Rezitation „Come un bel di di maggio“.

Ihm zur Seite als große Liebende bis in beider Tod (hier erfand der Librettist Luigi Illica eine Liebesgeschichte, die in der Realität nie stattgefunden hat) Anja HARTEROS als Maddalena di Coigny, deren Sopranstimme sich immer leuchtender und fülliger präsentiert und die nicht zuletzt als Nachfolgerin der Callas gehandelt wird, wobei man aber hier eine eigenständige und perfekt interpretierende Künstlerin auf der Bühne hat.

Als Carlo Gérard, den eigentlichen Held der Oper, erlebte man Luca SALSI, perfekt in Darstellung und gesanglicher baritonaler Interpretation des ehemaligen Dieners der Coignys, der die Zweifel zwischen seiner Liebe zu Maddalena und zum Vaterland (eine sehr gute Wiedergabe in „Nemico della patria“ nicht besser gestaltet herausarbeiten hätte.

Sehr gute Abendleistungen erbrachten J‘ai BRIDGES als Mulattin Bersi und Elena ZILIO als die alte Madelon, zu Herzen gehend ihr Vortrag, in dem sie ihren letzten Enkel der Revolution opfernd übergab. Sehr gute Studien erbrachten Doris SOFFEL als Gräfin von Coigny, Andrea BORGHINI als Roucher, Nathaniel WEBSTER als Pierre Fléville, Christian RIEGER als Fouquier-Tinville, Tim KUYPERS als Mathieu, Ulrich REß als Abate, sowie Anatoli SIVKO als Haushofmeister und Schmidt sowie Kristof KLOREK als Dumas, besonders allerdings hervorzuheben wieder einmal Kevin CONNERS als Incroyable (Spitzel). Allerdings ist leider nicht herauszufinden, wer zu Beginn der Vorstellung und nach der Pause die Marseillaise trällernd über die Bühne kam (übrigens auch eine sehr gute Inszenierungsidee). Wieder einmal gab der CHOR DER BAYERISCHEN STAATSOPER unter der wiederum Besteinstudierung von Stellario FAGONE sein Bestes.

Nicht ohne Grund sind alle Vorstellungen ausverkauft, und man wurde endlich weder von Regie noch Interpretation enttäuscht. I.St.