„Candide“ – 17. Dezember 2015

Staatstheater am Gärtnerplatz, Reithalle

München kennt das Stück bislang nur konzertant, einstmals von Loriot alias Vicco von Bülow moderiert, der diese komische Operette als beste aller möglichen Operetten bezeichnete. Die Handlung des Stücks basiert auf einer Satire von Voltaire, in der dieser den Titelträger von Westfalen bis Venedig über Südamerika und Surinam irren ließ, um seine Liebste Cunegonde zu finden, und dabei neben anderer Widrigkeiten wie Autodafés und Todesurteile selbst in ein tatsächlich im Jahre 1755 stattgefundenes Erdbeben in Lissabon geriet, und wobei Tote wieder auferstehen. Man war in dieser Zeit kurz vor dem Beginn der französischen Revolution, und es veranlaßte wohl Voltaire, „Candide“ zu schreiben, in dem er sich nicht nur gegen jede Form von staatlicher, militärischer oder wirtschaftlicher Macht auflehnte, sondern auch gegen die Macht der Kirche, die damals noch Ketzer verbrannte.

Jedenfalls diente diese Satire Leonard Bernstein als Vorlage für seine zündenden Melodien, die als komische Operette uraufgeführt wurde und am New Yorker Broadway als einaktiges Musical 1974 mit 740 Aufführungen einen Welterfolg errang. Und dieser Erfolg erlebte eine Wiederholung in der Reithalle in München – Broadway Atmosphäre am laufenden Band.

Man spielte allerdings die Urfassung des Stücks in zwei Akten vom 29. Oktober 1956 in Boston als komische Operette, Hugh Wheeler schrieb das Buch, die Gesangstexte stammten von Richard Wilbur und dazu von Stephen Sondheim, John LaTouche, Dorothy Parker, Lilian Hellmann und dem Komponisten selbst. Man sang in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln, die Dialoge in deutscher Sprache. Regie und Choreographie hatte Adam COOPER übernommen, ehemals Ballett-Tänzer und daher Tanz erfahren, so daß hier ein Vollblutkenner am Werk war, der nicht nur die eintönige Reithalle in ein Eldorado an buntem Handlungsgeschehen verwandelte, sondern auch durch eine sinnvolle Choreographie der einzelnen Tanznummern punkten konnte.

Die von Candide bereisten Länder ließ er jeweils durch einen lautstarken Pfeil auf zwei Weltkarten aus dem 18. Jahrhundert ankündigen, hinter denen sich das ORCHESTER DES STAATSTHEATERS AM GÄRTNERPLATZ befand, das unter der Hand von Marco COMIN zu einer Glanzleistung auflief; schon bei der Stabführung der Ouvertüre zeigte Marco Comin, daß er auch bei Bernstein zu Hause ist. Deshalb ein großes Bravissimo der Bühnengestaltung von Rainer SINELL, der im Einvernehmen der Regie einzelne Szenen auch in den Zuschauerraum hinein konzepierte und dazu auch den entworfenen Kostümen von Alfred MAYERHOFER, die in jeweiliger Landestracht die einzelnen durchreisten Länder des Candide sehr gut vertraten. Selbst der CHOR DES STAATSTHEATERS AM GÄRTNERPLATZ, wieder einmal sehr gut einstudiert von Felix MEYBIER, fand in der Reithalle bei dieser Inszenierung noch ausreichend Platz.

Alexander FRANzEN trat schon zu Anfang als die Geschichte erzählender Autor Voltaire auf, in der Folge war er Dr. Pangloss, Cacambo und Martin, die Zeichnung aller seiner Figuren ist ihm sehr gut gelungen. In der Titelpartie erlebte man Gideon POPPE, der eine warm und gut geschulte Tenorstimme für diese Rolleninterpretation vorstellte, die von ihm angebetete Cunegonde wurde von Cornelia ZINK dargestellt, die vor allen Dingen in „Glitter and be gay“mit vielen Koloraturen das Publikum zu stürmischem Applaus hinriß, noch dazu sprang sie an diesem Abend für die erkrankte weibliche Hauptfigur ein. Eine sehr gute Abendleistung.

Das Stück enthält viele kleine Rollen, die man meist mit einem Darsteller besetzt, was auch hier geschehen ist. So wie eingangs schon erwähnt stellte Alexander Franzen vier Personen dar, was Erwin BELAKKOWITSCH auch mit zwei Rollen als Maximilian und Captain sehr gut gelang, dazu Juan Carlos FALCÓN, der gleich in sieben Rollen sehr gut gestaltet auf der Bühne war, ebenso Holger OHLMANN in sechs Rollen und Martin HAUSBERG in vier Rollen, alle perfekt gestaltet und gesungen. Als Kammerzofe Paquette konnte Nazude AYLIN punkten, während den Vogel des Abends Dagmar HELLBERG als Old Lady abschoß, ihre hinreißende Komik bei dieser sehr guten Rolleninterpretation fand großen Anklang. Hier seien nur die wichtigsten Darsteller erwähnt, alle anderen im Programmzettel aufgeführten Darsteller gaben ihr bestes und stellten ihre Rollen sehr gut dar.

Diese Inszenierung zeigt, was ein guter Regisseur aus einem Stück in einem gerade nicht representativen Ersatzraum eines in Renovierung befindlichen Theaters machen kann. Broadway-Atmosphäre in einer Reithalle – Bravo.
I.St.