Die historische Figur der Anne Boleyn, die im Jahre 1536 nach dreijähriger Regierungszeit als Königin von England und Gemahlin von Heinrich VIII. den Tod wegen angeblicher Untreue fand (auch konnte sie nach der Erstgeborenen und späteren Elisabeth I. ihrem Gemahl nicht nach zwei Todgeborenen den männlichen Thronerben schenken), fand in Donizettis Meisterwerk mit dem Libretto von Felice Romani ihre musikalische Heimat. Der Komponist verewigte sich hier als Könner des Belcanto, für das er ja schließlich in all seinen Werken immer wieder sorgt, ob in musikalischen Komödien oder Tragödien, letzteres ist hier der Fall.
Wegen der Corona-Pandemie, die immer wieder zu Umpolungen von Spielplänen der Theater sorgt, fand am Staatstheater am Gärtnerplatz anstelle einer geplanten konzertanten Aufführung dieser Oper eine halbszenische statt, in den gut in die Zeit der Handlung passenden Kostümen von Inge SCHÄFFNER sangen Sänger und Chor teilweise in Kostümen der Jetztzeit mit Partituren, was überhaupt nicht störend war. Auch ein sich der Zeit anpassendes Bühnenbild paßte sich dieser halbszenischen Interpretation des Werks gut an, auch erlebte man ein wenig Rampentheater, was ebenfalls sich sehr gut in diese Aufführung einfügte. Das Publikum boten wieder Mitarbeiter des Theaters, und es gab auch eine Pause, die der Intendant selbst mit Pauseninterviews ausfüllen konnte.
So sprach der Dirigent des Abends Howard ARMAN über seine Lieblingsstellen der Partitur, der Tenor Lucian KRASZNEC über die Technik, die die Rolle des Percy verlangt, und last not least die Koloratursopranistin Jennifer O‘LOUGHLIN in ihrer Rolle der unglücklichen Anna über die historische Figur.
Howard Arman, übrigens ein Barockspezialist, dirigierte das ORCHESTER DES STAATSTHEATERS AM GÄRTNERPLATZ mit ausgesprochenem Gefühl gerade für eine Belcanto-Oper, die in einer reduzierten Orchesterfassung von Tony Burke auf die Bühne kam. Bei der Besetzung dieses Werks erwies sich wieder, was Intendant Köpplinger, der auch die Moderation der Pauseninterviews übernahm, welch glückliche Hand er hat. Man sang im übrigen in italienischer Sprache mit deutschen Untertiteln.
Als Enrico VIII. stellte sich eine Neuerwerbung aus dem Ensemble des Staatstheaters am Gärtnerplatz Sava VEMIC vor, der mit bestgeschultem Baß eine Bereicherung für das Theater ist. Als Rivalin der Anna Bolena Giovanna Seymoor konnte Margarita GRITSKOVA begeistern, die besonders im letzten Duett mit Anna besonders punkten konnte. Timos SIRLANTZIS als Annas Bruder Lord Rochefort konnte sich neben den übrigen Darstellern sehr gut einfügen, während Lucian Krasznec als Lord Percy in dieser Partie eine sehr gute tenorale Technik bewies und deshalb zur Idealbesetzung wurde.
Smeton, der Page, eine Mezzopartie, war bei Anna-Katharina TONAUER in den besten Händen, sie vermag in Stimme und Darstellung sich in die sogenannten Hosenrollen immer sehr gut einzuleben. Besonders ergreifend in gesanglicher Perfektion ihre Liebes-Arie und die Szene des Bildverlustes der Anna, das Smeton in Anwesenheit des Königs nebst Hofgesellschaft verlor und deshalb als Verliebter in Anna den sogenannten Stein ins Rollen brachte. So wurde er samt den gesamten Freunden und Anhängern der Anne Boleyn am 19. Mai 1536 .mit ihr zusammen wegen Verrats und Untreue hingerichtet, so die Historie.
Als der Offizier Hervey fügte sich Juan Carlos FALCON gut in die ausgezeichnete Sängerriege ein, wo allerdings Jennifer O‘Loughlin in der Titelpartie wieder ihr großes sopranistisches Können beweisen konnte. Frau O‘Loughlin zeigte an diesem Abend eine vollendete Stimmtechnik in all ihren Gesangsparts, und dazu noch in Ausdruck und Stimmfärbung ein außergewöhnliches Können. Die Choreinstudierung übernahm dieses Mal Pietro NUMICO, was sich als gut gelungen erwies.
Man würde sich sehr freuen, diese Oper szenisch alsbald im Staatstheater am Gärtnerplatz live zu sehen, wann wird es geschehen? I.St.