Das „Trittico“ am Royal Opera House zeichnet sich dadurch aus, daß der gleiche Regisseur Richard JONES mit der gleichen Kostümbildnerin Nicky GILLIBRAND, aber mit drei verschiedenen Bühnenbildnern die drei Stücke inszeniert hat. Sie stehen daher einzeln, ein verbindendes Element gibt es nicht. Leider führt dies auch zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen.
„Il Tabarro“ ist szenisch gut gelungen, der Bühnenbildner ULTZ hat ein sehr naturalistisches Bühnenbild geschaffen. Der Schleppkahn sieht aus wie ein Schleppkahn und ist nicht überdimensioniert (und die sehr breite Treppe in den Laderaum kann man wahrscheinlich auch nur aus den oberen Rängen sehen), so daß die Enge auch deutlich wird. Es herrscht allerlei Treiben am Kai, ohne daß dies ablenkt. Anzumerken ist allerdings, daß es etwas befremdlich ist, wenn Michele die Positionslaternen aufhängt: eine sinnvoll am Bug und die zweite nicht am Heck, sondern zwischen Schiffswand und Kaimauer (spontaner Gedanke: damit die Ratten den Weg aufs Schiff leichter finden?).
Giorgetta Patricia RACETTE sang und spielte glaubwürdig eine lebenshungrige, mit ihrem aktuellen Dasein unzufriedene Frau, die davon träumt aus dem eintönigen Schleppkahnleben auszubrechen. Vielleicht fehlte hier noch das letzte Quentchen an Rollenidentifikation, die Lucio GALLO als Michele mitbrachte. Er stellte einen komplexen Charakter auf die Bühne, der nach außen nach dem Verlust des Kindes funktioniert, innerlich aber von unterdrückter Trauer zerfressen wird. Besondere Tragik gewann das Ganze, weil Michele bis kurz vor dem Mord zu glauben schien, daß seine Ehe noch eine Chance hätte.
Carl TANNER sang Luigi tonschön, aber durchaus so explosiv, daß man jederzeit damit rechnen könnte, er würde einen Arbeiteraufstand entfachen. Er bot zahlreiche Nuancen auf, noch deutlich mehr in der Vorstellung vom 25. März, und war darstellerisch sehr beweglich.
Tinca Carlo BOSI, Talpa Jeremy WHITE und Frugola Irina MISHURA waren angemessene Rollenvertreter, allerdings ohne eine längerfristigen Eindruck zu hinterlassen. Der Liedverkäufer (David Junghoon KIM) und vor allem das Liebespaar (Lauren FAGAN und Luis GOMES) ließen aufhorchen.
„Gianni Schicchi“ machte einfach Spaß. Mehrfach rannen uns die Lachtränen aus den Augen. Das Ambiente (Bühnenbild John MACFARLANE) ist irgendwo in der Mitte des 20. Jahrhunderts zu verorten. Tempo und Timing sitzen, nichts geht gegen die Musik, es gibt bei keiner Figur Leerlauf, alle sind immer präsent, ohne daß es übermäßig hektisch oder ablenkend zu werden droht.
Dreh- und Angelpunkt ist natürlich die Titelfigur, die hier mit Lucio Gallo optimal besetzt gewesen ist. Es ist immer wieder faszinierend, wieviele unterschiedliche Nuancen der Bariton sein Eigen nennt, hier insbesondere die Momente in der Verkleidung als Buoso Donati oder wenn er ungeniert mit dessen weiblicher Verwandschaft flirtet. Nach den zahlreichen ernsthaften Partien der vergangenen Jahre war schon fast etwas in den Hintergrund getreten, was für ein Erzkomödiant er eigentlich ist. Mit sichtlichen Spaß tobt er über die Bühne, dabei immer perfekt auf die Musik abgestimmt.
Susanna HURRELL war eine reizende Lauretta, die eindeutig wußte, wie sie ihren Vater um den Finger wickeln muß. Da hätte sie gar nicht erst mit dem Arno drohen müssen. Rinuccio war bei Paolo FANALE in allerbesten Händen. Mit nicht allzugroßer, aber schön timbrierter, gut fokussierter Stimme und sehr kluger Phrasierung stellte er einen keineswegs eindimensionalen Charakter auf die Bühne; der erste Rinuccio meines Lebens, der bei der Verteilung des Erbes davon ausgeht, daß Schicchi ihm die drei „Sahnestückchen“ zuschustern wird, und dann entsprechend enttäuscht ist.
Neben Jeremy White (Betto), Carlo Bosi (Gherado) und David KEMPSTER (Marco) sowie Gwynne HOWELL (Simone) waren es vor allem die weiblichen Verwandten, die wunderbar spielfreudig waren. Rebecca EVANS als Nella und vor allem Marie MCLAUGHLIN als Ciesca gaben alles an stimmlicher Überzeugungskraft, um sich der Mithilfe des noch eben verachteten Zugezogenen zu versichern. Absolut grandios dazu Elena ZILIO, welche Zita zu einer echten Gegenspielerin von Schicchi werden ließ.
Auch Matteo PEIRONE (Arzt), Tiziano BRACCI (Notar) sowie vor allem Simon WILDING und David SHIPLEY als Testamentszeugen nutzten ihre kurzen Auftritte. Die drei Kinder, Gabriele MONTANO als Gheradino sowie Fleur HINCHLIFFE und Flora ROGERS, zeigten bemerkenswerte Präsenz.
Leider gab es zwischen diesen beiden Stücken auch noch „Suor Angelica“. Bühnenbildnerin Miriam BUETHER hat die Handlung in ein Kinderkrankenhaus verlegt. Die Nonnen sind offenbar auch Krankenschwestern. Die Idee an sich stört jetzt nicht, allerdings muß die Frage erlaubt sein, warum dann keine von ihnen auch nur einen Finger rührt, um Angelica und deren Seelenheil zu retten.
Viel schlimmer war die Zeichnung der Hauptfigur, wobei nicht genau festgestellt werden kann, welcher Teil auf das Konto des Regisseurs und welcher auf das Konto der Titelrollensängerin ging. Diese Angelica benahm sich gerade in der Auseinandersetzung mit ihrer Tante wie ein bockiges Kleinkind. Es half nicht, daß Ermonela JAHO auch genauso klang. Der Stimme fehlte es einfach an dem in dieser Partie so unerläßlichem Aufblühen, an der Phrasierung langer Bögen, an Wärme und Innigkeit. Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß man Angelica das Kind nicht weggenommen hatte, weil es nichtehelich ist, sondern weil sie vermutlich vollkommen erziehungsunfähig gewesen sein dürfte.
Bei einer guten Principessa sollte man bei deren Auftritt das Gefühl haben, daß die Raumtemperatur um mindestens 10 °C fällt, solche Kälte strahlt diese Figur aus. Anna LARSSON hingegen strahlte davon gar nichts aus. Abgesehen davon, daß man den Eindruck hatte, sie würde sich vor ihrer Nichte fürchten, blieb sie auch stimmlich Autorität und die moralische Überlegenheit, die diese Figur glaubt zu haben, schuldig. Die Konfrontation dieser beiden Figuren verpuffte einfach.
Von den weiteren Nonnen Elena Zilio, Irina Mishura, Melissa ALDER, Kate MCCARNEY, Elizabeth SIKORA, Eryl ROYLE, Katy BATHO, Elizabeth KEY, Jennifer DAVIS, Emily EDMONDS und Renata SKARELYTE blieb noch, auch dadurch, daß dem Regisseur hier zu den einzelnen Personen wenig eingefallen war, noch am ehesten Laren FAGAN als Genovieffa in Erinnerung.
Der ROYAL OPERA CHORUS unter Renato BALSADONNA meisterte seine Aufgaben auf hohem Niveau. Das ORCHESTRA OF THE ROYAL OPERA HOUSE spielte ordentlich, war jedoch leider durch den Dirigenten Nicola LUISOTTI gehandicapt. Dessen Dirigat war spannungslos, sehr getragen und verwechselte gelegentlich dann Lautstärke mit Dramatik.
MK