Ein London-Aufenthalt ohne einen Abstecher in den Theatre District? Geht ja gar nicht. Und wenn sich dazu noch die Möglichkeit bietet, jemanden live zu sehen, den man schon seit längerem mal auf der Bühne sehen wollte, in einem Stück, das man eh sehr mag… Wie sollte man da noch widerstehen?
Das Playhouse Theatre ist ein gemütliches, nicht sonderlich großes, plüschiges Theater. Die Möglichkeiten der Bühne sind eingeschränkt, aber was Regisseur Terry JOHNSON und Bühnenbildner Tim SHORTALL damit machen, ist mehr als beeindruckend. Das Stück findet statt, ist angemessen frech und voller Witz sowie mit zahlreichen hübschen Ideen inszeniert, ohne daß zu sehr übertrieben wird. Insbesondere die beiden Hauptfiguren werden in ihren Emotionen ernst genommen. Interessanterweise sind und wirken die beiden optisch deutlich jünger als dies die Besetzungskonvention erwarten läßt.
Simon BURKE ist als Georges, der ohne Fehl und Tadel singt, spielt und tanzt, eine perfekte Besetzung. Er und Albin sind ein echtes Traumpaar, bei denen man ohne weiteres weiß, daß und warum sie nun schon über zwanzig Jahre zusammen sind. Er lebt sein Leben im Schatten dieser Über-Diva und strahlt dabei aus, daß er damit vollauf zufrieden ist, weil er dort ist, wo er sein will. Burke schafft das Kunststück, dies zu vermitteln, und dabei trotzdem präsent zu sein.
John BARROWMAN ist bis auf die Schlußszene ausschließlich in den, teilweise sehr aufwendigen, Kleidern von Zaza oder extrem exaltierten Anzügen (Kostüme: Matthew WRIGHT) zu sehen, die er mit Würde trägt. An einigen Stellen noch etwas mit dem Zusammenspiel von Choreographie und High Heels kämpfend, schaffte er es, mit dem ihm eigenen Charme, Charisma und vor allem der Stimme (sowohl beim Singen als auch beim Sprechen) zu glänzen. „I am what I am“ war an diesem Abend kein Hit, sondern das Aufbegehren einer wütenden, tiefgetroffenen Person.
Jacob, die Zofe/der Butler im Hause Georges/Albin wurde von Syrus LOWE verkörpert. Ich gebe zu, daß Jean-Michel zu den Musiktheater-Charakteren gehört, deren Verhalten sich mir nicht eröffnet. Gabriel VICK bemühte sich trotzdem standhaft auch schon vor der Pause Sympathien für die Figur zu wecken und tat dies mit angenehmer Musicalstimme.
Der Rolle von Jean-Michels Auserwählter Anne läßt das Stück wenig Raum für Profilierung. Die bezaubernde Alicia DAVIES macht das Beste daraus. Annes Eltern sind bei Iain MITCHELL und Abigail McKERN in allerbesten Händen, man nimmt ihnen die bornierte Weltsicht genauso ab wie die Tatsache, daß sie sich am Ende von dieser eher lösen kann als er. Beide spielten zudem noch hinreißend das mitfühlende Wirtsehepaar Renaud; ich gebe zu, daß ich einen Blick ins Programmheft riskieren mußte, um mich davon zu überzeugen, daß es sich wirklich um die gleichen Darsteller handelte. Tracie BENNETT als promisüchtige Jacqueline war exakt so schwer erträglich wie solche Leute tatsächlich in der Regel sind.
Die Cagelles Faisal KHODABUKUS, Matt KRZAN, Simon ARCHER, Gary MURPHY, Dane QUIXALL und Kristopher MITCHELL sind in tänzerischer und gesanglicher Leistung schwer zu überbieten, zudem werden sie von der Regie auch nicht als Kollektiv, sondern durchaus als einzelne Charaktere behandelt. Es ergänzten noch Sebastien TORKIA, Dean CHISNALL, Claire WINSPER und Chris Andrew MELLOW.
Bei den ersten Tönen des Vorspiels der BAND unter Leitung von Michael HASLAM machte mach sich zunächst Sorgen, ob die Lautstärke nicht den kleinen Rahmen sprengen würde, doch sobald die Sänger die Bühne betraten, gab sich dies und wich einer schmissigen, ins Blut gehenden Interpretation von Jerry Hermans Musik.
Der Abend war ein echtes Highlight unserer an Highlights nicht armen „UK-Tour“. MK