Sopran, zierlich, blond. Das sind vordergründig betrachtet einige Klischees, irgendwie. Im Fall von Katerina Tretyakova sind es aber eben nur Klischees. Dahinter steckt eine Frau mit Persönlichkeit.
„Ich freue mich, wenn ich den Leuten mit meinem Gesang etwas Schönes schenken kann“, sagt Katerina Tretyakova irgendwann während unseres Gesprächs, und man spürt, wie wichtig ihr dieser Teil ihres Berufes ist.
Lebensfroh, selbstbewußt, quicklebendig – es gibt viele Adjektive, um den jungen Sopran zu beschreiben. Sie lacht gern und viel, berichtet aber auch von den Schattenseiten des Sängerberufs, die sie allerdings
bisher gut gemeistert hat. Sie gehört zu dieser neuen Sängergeneration, die selbstbewußt durchs Leben geht, ohne dabei überheblich zu wirken, und die die Freude an ihrer Tätigkeit scheinbar mühelos dem Publikum vermitteln kann.
Katerina Tretyakova stammt zwar nicht aus einer Musiker-, aber aus einer sehr musikalischen Familie. „Meine Mutter hat als Kind Ballett getanzt, mußte allerdings damit aufhören. Sie hat dann Geige studiert, später aber einen anderen Beruf ausgeübt. Sie wäre bestimmt eine gute Musikerin gewesen, weil sie mit so eine leidenschaftliche Opern- und Musikliebhaberin ist. Mein Vater hat zuhause sehr oft russische Lieder gesungen. Er hatte eine tiefe baritonale Stimme und hat immer wieder, wenn er Lust hatte, beim Arbeiten gesungen. Meine Tante war eine Chorleiterin. Im Blut habe ich also schon etwas davon.“
Die in Murmansk geborene Sängerin kam als kleines Kind mit ihren Eltern nach Litauen, wohin ihr Vater aus beruflichen Gründen umziehen mußte. „Ich habe als Kind die Musikschule besucht und mit Klavierspielen
angefangen. Chorleitung habe ich auch studiert und dann gedacht, ich möchte gerne singen – und zwar allein, nicht im Chor.“ Mit fünfzehn ging sie nach Vilnius, um am dortigen Konservatorium zu studieren.
„Bewundernswert, daß meine Mutter mich in dem Alter weggelassen hat. Ich war kein so ruhiges Kind und hatte ihr ab und zu sehr viele Sorgen gemacht. In diesem Alter kann ganz schön viel schiefgehen, aber ich war ganz brav, habe immer hart gearbeitet. Natürlich bin ich auch mal die ganze Nacht in Diskotheken gewesen, habe danach kaum geschlafen und bin dann trotzdem pünktlich zu meinem Unterricht erschienen, um z. B. zu dirigieren.“
Eine ihrer Lehrerinnen war der Meinung, daß sie als Dirigentin sehr talentiert sei. „Aber Dirigieren war nicht ganz mein Fach.“ Umsomehr bewundert sie Simone Young für ihre Energie und Arbeit mit dem Orchester. Mit achtzehn Jahren entschied sie sich endgültig für den Sologesang.
An der Akademie in Vilnius machte Katerina Tretyakova ihren Bachelor und begann dann ein Magisterstudium. Ihre Lehrerin Giedre Kaukaite wies sie auf die Möglichkeit eines Austauschstudienjahres im Ausland hin. „Ich ging als Austauschstudentin im zweiten Magisterstudiensemester mit einem Stipendium nach Salzburg.“ Die Zeit in Salzburg war sehr hart, da das Stipendium gerade zum Leben reichte und daher einiges an Rechenkünsten erforderte. Neben ihrer musikalischen Ausbildung absolvierte sie dort auch einen Deutschkurs. Da sie primär von deutschsprachigen bzw. deutschsprechenden Kommilitonen und Lehrern umgeben war, behalf sie sich die erste Zeit mit einem Wörterbuch. „Es waren ganz spannende Zeiten. Ich hatte so ein Miniwörterbuch aus Litauen mitgebracht, ich durfte ja nicht mehr als 15 kg Gepäck im Flugzeug mitnehmen. In den Proben habe ich dann mitgeschrieben und abends zuhause das eine oder andere Wort nachgeschlagen.“
Bereits in Vilnius hatte Josef Wallnig, der Leiter der Opernabteilung des Mozarteums, die Sängerin bei einer Masterclass als Pamina gehört. „Ich habe ihm sehr gut gefallen, und er sagte, du mußt ein Projekt bei mir machen.“ 2006 ergab sich so die Möglichkeit, daß sie bei den Salzburger Festspielen die Partie des Hyacinthus in der ersten Mozart-Oper „Apollo und Hyacinthus“ singen durfte. Außerdem fungierte sie als Cover in „Die Schuldigkeit des ersten Gebots“ von Mozart. „Unsere Produktion hatte die tollsten Kostüme, wir sahen wie Marionetten aus. Die Kostümabteilung und die Maskenbildner brannten für diese
Produktion und taten alles, damit wir Sänger uns wohlfühlten. Es machte sehr viel Spaß.“
Sie entschied sich, im deutschsprachigen Raum zu bleiben, weil sie spürte, daß sie hier aus eigener Kraft eine Karriere aufbauen könnte. Nach dem Opernabschluß in Salzburg sang sie für die Opernstudios in
Zürich, München und Hamburg vor und konnte zwischen München und Hamburg wählen. Die Entscheidung für Hamburg fiel aufgrund der Professionalität des Angebots sowie der Möglichkeit, gleich größere Partien auf der Bühne zu singen. Während der Opernstudiozeit sang sie Gianetta („L’elisir d’amore“), Musetta, Valencienne, Papagena und Oscar. „Ich bin sehr froh, mich so entschieden zu haben. Woanders bekommen Opernstudiomitglieder viel kleinere Partien. Wir waren hier sehr gut aufgehoben.“
Seit der Spielzeit 2010/11 ist Katerina Tretyakova Mitglied des Ensembles der Hamburgischen Staatsoper. Sie sang neben dem Ighino in der Neuproduktion von „Palestrina“ die Gilda, Pamina, Adina, Gretel, Adele
und begeisterte mit Professionalität und Musikalität jedes Mal das Publikum. „Ich liebe klassische Musik, Puccini, Mozart, Verdi oder russische Komponisten. Das ist, was die Leute bewegt, und die Seele
reinigt. Es ist mein Job, etwas Schönes zu schenken. Ich bin sehr offen für Kritik, wenn sie hilfreich ist, wenn ich etwas ändern kann.“
Über die Verleihung des Dr. Wilhelm-Oberdörffer-Preises durch die Sponsoren der Hamburgischen Staatsoper hat sie sich sehr gefreut. „Ich bin erst so kurze Zeit hier und bekomme bereits solche Anerkennung.“ Dabei ist das nicht der erste Preis, den Katerina Tretyakova erhalten hat. Sie gewann den litauischen Paulauskas-Wettbewerb, den litauischen Jonuskaite-Zauniene-Wettbewerb, den zweiten Preis im internationalen Dvorak-Wettbewerb, sowie Einladungen für eine Partie an der Prager Staatsoper und einen Liederabend in Prag. Außerdem erhielt sie die Lilli-Lehmann-Medaille des Mozarteums.
Die Künstlerin nutzt gerne die Chance, mit erfahrenen Kollegen auf der Bühne zu stehen und von diesen zu lernen. „Ich war Cover von Gabriele Rossmanith als Valencienne mit Harry Kupfer als Regisseur, und ich habe unheimlich viel an Aussprache, Bühnenpräsenz, wie man etwas ausdrückt, eine Geste macht, gelernt. Ich bin sehr froh, daß ich an einem großen Haus bin und diese Möglichkeiten habe.“
Neue Rollen erarbeitet sie sich zuerst von der Figur her, sie beschäftigt sich mit dem Umfeld, dem Text und erhält so einen Blick von außen auf den Charakter. Dieses eigene Bild versucht sie dann mit der
Sichtweise des Regisseurs in Einklang zu bringen und entwickelt manchmal kleine Geschichten, weshalb sich eine Figur eben so verhält. „Ich habe in Litauen eine Schauspiellehrerin gehabt, die von der
Stanislawski-Schule kam.“ Dadurch lernte sie, stets mehrere Wege zur Charakterisierung zu finden.
Zuletzt folgen dann die musikalischen Feinheiten, beispielsweise wie eine Phrase zu färben ist. „In Studienzeiten hatte ich die Tendenz, alles schön, mit perfektem Klang zu singen. Doch das wird dem Zuhörer schnell langweilig. Jetzt arbeite ich vielmehr mit Stimmfarben und anderen Feinheiten, auch wenn es für mich selbst manchmal häßlich klingt. Was Sänger selbst hören und andere hören, ist total anders. Wir brauchen immer wieder Ohren von draußen, die uns sagen, das ist gut, das ist schlecht.“
Feedback ist ihr sehr wichtig. „Früher wußte ich nicht, daß es so schwierig ist und soviel Energie braucht zu singen. Als ich noch Chorleitung studiert habe, dachte ich, Gesang ist etwas Einfaches.
Später merkte ich, wie anstrengend das ist. Man perfektioniert sich immer weiter und braucht sehr große Konzentration und viel Energie.“
Für die kommende Spielzeit freut sie sich auf ihre Debüts als Nannetta, Zerlina und Susanna sowie auf die Rückkehr als Musetta, Adele und Pamina. Im Theater am der Wien wird sie Regina in „Mathis der Maler“,
einer Produktion unter Bertrand de Billy, singen. Sie hat mit ihm bereits in der Musikhalle für „Egmont“ zusammengearbeitet. „Es macht mir soviel Spaß, ich bin ein Fan von ihm – egal welche Rolle, ich mache mit. Ich freue mich sehr auf dieses Projekt.“
Ihre Traumpartie ist die Violetta in „La Traviata“, ein Traum, der sich hoffentlich bald erfüllen läßt.
MK & AHS (April 2012)
Weitere Informationen unter www.katerinatretyakova.com