„Die tote Stadt“ – 9. November 2019

Das Beste. Das Beste ist, wenn ein Opernabend mal perfekt ist, wenn alles stimmt: die Musik, die Besetzung, die Produktion, wenn man Stimmen hört, die neben Kraft auch mit Klangschönheit und Charakter überzeugen, und wenn man zu einem Werk, das man sehr schätzt, neue Impulse bekommt.

Regisseurin Luise KAUTZ ist in Kiel der große Wurf gelungen. Ihre Interpretation von Korngolds „Die tote Stadt“ besticht durch eine stückkonforme, aber doch ganz eigene Erzählweise und eine klare, ausgefeilte Personenführung. Alle Figuren sind feingezeichnet, alle Interaktionen wohldurchdacht. Hier hat man endlich wieder einmal das Phänomen, daß die Regie dem Zuschauer die Wahl zwischen dem schlichten Folgen der Geschichte oder dem Entdecken der Deutungsweise durch die Produktion und Raum für eigene Gedanken läßt.

Das Bühnenbild von Valentin MATTKA ist komplexer und erzählt mehr von der Geschichte, als es auf den ersten Blick scheint. Während die Möbel des Zimmers an die Gründerzeit gemahnen, verorten die Kostüme (Hannah Barbara BACHMANN) die Handlung eher in die 20er Jahre, also die Entstehungszeit der Oper. Wie aus der Szenerie vom Zimmer mit wenigen Handgriffen zur Außenwelt wird, ist kongenial und dicht mit der Handlung verwoben. Die flexible Raumgestaltung durch die fahrbaren, grünbewachsenen Wände ab dem 2. Bild ist ein Lehrstück für alle, die dies auf eine Bühne bringen wollen. Die Lichtgestaltung (Martin WITZEL) ergänzt die jeweiligen Stimmungen perfekt.

Soweit so spannend. Vollends zufrieden machte, daß die musikalische Seite des Abends dem in nichts nachstand.

Paul ist hier ein Mensch, eine Beamtenseele, vielleicht mit Heinrich Manns Professor Unrat zu vergleichen, den der Tod der geliebten Frau aus der Bahn geworfen hat, der aber trotzdem nicht aus seiner Haut kann. Daß die Figur den Abend über immer mehr an Sympathie gewann und es einem am Schluß fast das Herz zerriß, war vor allem auch der Verdienst von Norbert ERNST. Man bekam hier nicht die reine Tenorkraftpartie, sondern die feingezeichnete Spiegelung der Charakterisierung durch die Regie zu hören. Der Sänger besitzt ohne Zweifel die Kraft, Partien dieses Fachs zu stemmen, wichtiger jedoch ist sein Verständnis für die Bandbreite, die Rollen wie Paul eben auch an leisen Tönen und Innehalten erfordern.

Nicht minder grandios sang Agnieszka HAUZER. Wie sie die so unterschiedlichen Figuren Marie und Marietta miteinander verwob, faszinierte. Marietta wurde zudem eine Entwicklung zuteil, die man nicht nur sah, sondern auch hörte. Die Figur war mitnichten dauerhaft das leichtlebige Wesen mit zweifelhaftem Hintergrund. Als Marietta sich entschloß, den Kampf gegen die stets präsente Tote aufzunehmen, veränderten sich Spiel und stimmliche Attitüde.

Tomohiro TAKADAs Stimme paßt perfekt auf die Partien Frank/Fritz. Dunkel und warm klingend, fügte sich sein Bariton virtuos in Korngolds Klangwelten. In „Mein Sehnen, mein Wähnen“ hörte man das Wiener Lied, das es wohl eigentlich auch ist.

Unendlich beeindruckend war auch die Leistung von Tatia JIBLADZE als Brigitta, deren Stimme neben einem wunderbar warmen Klang auch eine feine Klarheit besitzt. Die Sanftmut der Figur, ihr stetiges Verzeihen sah man nicht nur im Spiel. Es spiegelte sich auch im Gesang.

Elizabeth TREDENT (Juliette), Heike WITTLIEB (Lucienne), Michael MÜLLER-KASZTELAN (Victorin/Gaston) und Fred HOFFMANN (Graf Albert) blieb nur, auf gutem Niveau zu ergänzen. Sie taten das schönstimmig und spielfreudig,

OPERNCHOR sowie KINDER- UND JUGENDCHOR (Einstudierung: Lam Tran DINH) klangen blitzsauber und homogen.

GMD Benjamin REINERS nahm das PHILHARMONISCHE ORCHESTER KIEL stark zurück. Das tat Korngolds Musik überraschend gut und verstärkte den Kammerspielcharakter des Abends. An der Qualität des Orchesters gab es eigentlich keine Zweifel. Die überaus virtuose und engagierte Leistung unter Leitung des Neuen war trotzdem großartig.

Im Zusammenspiel von musikalischer und szenischer Umsetzung war das Ganze ein emotionaler Parforceritt, der nachwirkt und beschäftigt. Wieviel war Tagtraum oder was Realität? Was macht Trauer mit einem Menschen? Wohin wird Pauls Weg schlußendlich führen?

Die Hamburgische Staatsoper spielt im Dezember ebenfalls Korngolds „Die tote Stadt“. Liebe Leser, fahren Sie nach Kiel. AHS