Interview mit Jerzy Wołosiuk

„Ich bin ein Perfektionist im Leben, also möchte ich alles auf dem höchsten Niveau machen.“

Szczecin (Stettin) liegt viel näher an Hamburg als München und Wien, nicht nur geographisch, sondern auch als alte Hafen- und Hansestadt. Und es ist nur einen Steinwurf von Berlin entfernt.

Im Herbst 2015, nach der Renovierung des berühmten Schlosses, kehrte das örtliche Opernhaus, die Opera naFoto: M. Grotowski © Opera na Zamku Zamku* an seinen traditionellen Platz zurück. Die Vorteile dieses Theaters sind nicht nur die wunderbare Lage oder die harmonische Verbindung von Altem und Neuem in seinem erneuerten Heim, sondern auch die Entwicklung zu einem inspirierten Programm, welches ohne Angst neue künstlerische Wege geht, und einem exzellenten Ensemble sowohl im Orchestergraben als auch auf der Bühne.

Wenn man es so betrachtet, ist es ziemlich überraschend, daß Szczecins Opernhaus noch immer ein Geheimtip auf unserer Seite der Grenze ist.

Jerzy Wołosiuk ist der derzeitige künstlerische Leiter der Opera na Zamku. Er ist eine der treibenden Kräfte für die interessante künstlerische Entwicklung, die das Theater in den letzten Jahren genommen hat.

Sein Weg zu einer musikalischen Karriere sei schon in frühem Alter klar vorgezeichnet, erzählt er. „Meine Mutter war Pianistin, aber nicht auf professionellem Niveau. Sie machte den Abschluß an der Musikschule auf dem Klavier und studierte dann Musikerziehung. Sie bildete Studenten an der Universität in Musik aus. Mein Vater ist ebenfalls Dirigent, aber in der Musik der Orthodoxen Kirche. Er ist Autodidakt, aber eine der wichtigsten Personen in dieser Art von Musik in Polen. Ich war immer von Musik umgeben. Meine Eltern spielten diese schwarzen Platten. Es war für mich völlig natürlich, mit Musik aufzuwachsen. Ich bin Cellist, ich habe die Musikschule als Cellist abgeschlossen. Jetzt verbringe ich all meine Zeit mit Musik. Ich spüre, daß mein Weg das Dirigieren ist. Es ist etwas, das aus dem Inneren kommt, eine Herzenssache.“

Neben dem Dirigieren und dem Cellospielen hat das Klavier eine große Rolle in seinem Leben gespielt, denn er habe viel von seinem musikalischen Wissen von seiner Klavierlehrerin Teresa Rosłoń-Esztenyi erhalten.

Foto: Marek Hofman
„Ich bin Dirigent, um etwas zu schaffen“, erklärt er seine Einstellung. Manchmal dirigiere er Symphoniekonzerte, aber seine wahre Leidenschaft gehöre dem Musiktheater. „Es ist das Zusammenspiel von Musik und Theater, wie beides zusammenarbeitet.“ Eine Auffassung, die sich nicht nur in seiner Arbeit als Dirigent, sondern auch in seiner administrativen Tätigkeit wiederfindet.

Jerzy Wołosiuk machte seinen Abschluß an der Frederic Chopin Universität für Musik im Jahre 2005 und wurde Kapellmeister an der Opera Nova in Bydgoszcz, wo er mehr als 200 Opern, Ballette, Operetten und Musicals dirigierte. Seit 2013 arbeitet er in Szczecin, erst als musikalischer Leiter, jetzt als künstlerischer Leiter. Er übernahm seine Ämter in einer etwas stürmischen Zeit für die Opera na Zamku und brachte nach vielen Wechseln auf unterschiedlichen Positionen Stabilität in das Haus. „Es ist gut für die Künstler, und es ist gut für das Publikum, wenn man einer Strategie folgt.“

Wenn man seine Biographie liest und nachrechnet, ist man überrascht, wie geradlinig und klar seine Konzepte bereits sind. „Ich bin ziemlich jung und fühle mich jung, aber ich arbeite seit zehn Jahren am Theater, und ich war immer an allem interessiert. Wir sind ein kleines Theater, aber ich denke, es ist unsere Stärke, ein eng verbundenes Team zu sein.“ Trotz der höheren Arbeitsbelastung im Vergleich zu einem deutlich größeren Theater mit mehr Beschäftigten genießt er die kreative Atmosphäre an der Opera na Zamku, die ihm Experimente wie die derzeitige hochgelobte Britten-Produktion „The Turn of the Screw“ erlaubt. Er genießt die Art von künstlerischer Freiheit, die seine Position mit sich bringt, aber es ist ihm sehr wichtig, das Publikum und seine Kollegen mit ihm auf dieser Reise mitzunehmen.

Aber keine Kunst ohne Geld. Die finanzielle Struktur von Theaterbudgets in Polen ist vergleichbar zum deutschen System. Die Theater werden von der Regierung der Woiwodschaft (Provinz) unterstützt, müssen aber den Großteil ihres Budgets durch den Verkauf von Eintrittskarten verdienen. „Wir haben in fast allen Vorstellungen einen vollen Zuschauerraum. Das liegt an der sehr guten Arbeit der Marketingabteilung, und es ist deutlich besser als vor drei Jahren.“ Ein weiterer Grund dafür ist nach Wołosiuks Meinung, daß sie ins Schloß zurückkehren konnte. Manche Leute weigerten sich die Hala Opery, die zeitweilige Heimat während der Renovierung, zu besuchen, „sie wollten nicht in ein Zelt gehen, sie wollten in ein Theater”.

„Wir möchten uns ein neues Publikum erschließen, in das Theater bringen und ihm zeigen, daß Musiktheater frisch und nicht nur eine alte dicke Frau ist, die eine Koloraturarie singt. Ich denke, Theater kann den Menschen Emotionen geben und auch Aktualität.“

Dieser Gedankengang führt zu Produktionen wie „The Turn of the Screw“. „Wir wollten nicht etwas vollkommen anderes machen, denn es ist die erste szenische Aufführung in Polen. Wir haben versucht, es frisch und modern zu machen, aber so wie der Komponist und die Librettistin es gedacht haben. Es ist sehr ausgeglichen, und ich bin sehr glücklich mit diesen Vorstellungen.“

Foto: Marek Hofman
Mehr Produktionen in diesem Stil sind angedacht. Die Kooperation mit dem Theater Vorpommern wird fortgesetzt werden. Für gewöhnlich gastiert man zur Saisoneröffnung für Konzerte z. B. in Stralsund und umgekehrt. Dieses Jahr wird neben anderen Stücken Bruckners 7. Symphonie gespielt werden. Die Theater haben als Koproduktion in der Vergangenheit „Lohengrin“ gespielt und werden in der nächsten Saison „Tannhäuser“ bringen. Ebenso wurde gemeinsam „Rock‘n’ Ballet“ produziert, was während des Open Air-Festivals in Vorpommern und im Teatr Letni, dem Sommertheater von Szczecin, gespielt wird. Weitere Kooperationen mit dem Center for Contemporary Opera in New York und einem Festival für Moderne Musik in München sind geplant.

Um mehr Touristen und Besucher aus dem Nachbarland anzulocken, denkt die Oper über zusätzliche Übertitel, Programmhefte sowie Werbematerialien in deutscher Sprache nach. Auch soll dies dazu führen, die Kooperation mit verschiedenen Reiseveranstaltern aus Polen und Deutschland zu erweitern.

Jerzy Wołosiuk strahlt Enthusiasmus und Stolz auf sein Team auf der Bühne und dahinter aus. Niemand, der ihn trifft, kann bezweifeln, daß er der richtige Mann zur richtigen Zeit für die Opera na Zamku ist.

Wir freuen uns auf viele weitere interessante Vorstellungen und Produktionen in Szczecin.
MK & AHS (Juli 2016)

* Opera na Zamku = Oper im Schloß

Fotos: M. Grotowski © Opera na Zamku (Farbe), Marek Hofman (s/w)