„La Bohème“ – 27. Oktober 2024

Ein so häufig gespieltes Stück wie Puccinis „La Bohème“ mit frischem Blick und neuen Ideen auf die Bühne zu bringen, ist gar nicht so einfach. Angela DENOKE ist dies gelungen, ohne die Geschichte selbst zu entfremden.

Ihre Inszenierung mit ihrer stringenten Erzählweise sprudelt nur so vor interessanten Ansätzen und überraschenden Konstellationen im Beziehungsgeflecht der handelnden Personen*, ohne daß irgendetwas davon gekünstelt oder aufgesetzt wirkte. Trotzdem ist es eine Interpretation, die dem Publikum genug Raum für eigene Gedanken läßt. Daß dies alles perfekt mit der eigentlichen Geschichte um Liebe und Tod harmonisierte, war dabei die Kirsche auf der Sahne.

Timo DENTLER und Okarina PETER haben mit dem überdimensionierten Kaminsims, der sich mittels Drehtür ins Café Momus verwandelt und dessen Rückseite als Front im dritten Akt dient, eine minimalistische, aber stets mit Leben gefüllte Umgebung geschaffen. Die ebenfalls von ihnen entworfenen Kostüme waren gleichsam für jede Figur wie für jeden der Sänger passend. Sie unterstrichen in Farben und Stil den jeweiligen Charakter ausgesprochen gut. Die Lichtregie von Falk HAMPEL tat ein weiteres Mal ihr Übriges, die jeweiligen Stimmung auf der Bühne meisterhaft zu unterstreichen.

Glaubhaft als Pariser Künstler-WG erlebte man Gerard QUINN, Changjun LEE und Jacob SCHARFMAN, die bereits im „Simon Boccanegra“ so wunderbar zusammenwirkten. Jeder für sich ein großartiger Künstler und gemeinsam einfach unschlagbar gut.

Gerard Quinn brachte mit jeder Faser zum Ausdruck wie sehr die On-Off-Beziehung mit Musette an Marcellos Nerven zerrt, ohne dabei die Anforderungen an stimmliche Eleganz und Dynamik durch Puccinis Musik zu vernachlässigen. Dazu Changjun Lee mit steter Bühnenpräsenz und gesanglich nicht nur bei Collines Mantelarie top, bei dem man sich fragt, wie seine großartige Stimme klingen wird, wenn er einmal das „eigentlich passende“ Baßalter erreicht hat, sowie eben Jacob Scharfman, der als stimmlich höchst präsenter Schaunard die Exzentrik auf die Spitze trieb, aber stets gekonnt auf dem hauchdünnen Grat zwischen Humor und Klamauk balancierte.

Dazu neu im Lübecker Ensemble harmonierte Konstantinos KLIRONOMOS als Rodolfo im Spiel wunderbar mit seinen Kollegen. Man wünschte sich nur, er hätte mehr von seinen unbestritten schönklingenden Phrasierungen hören lassen und an exponierten Stellen nicht so viel Druck auf die Stimme gegeben. Letzteres war völlig unnötig, denn die Stimme trägt mühelos bis in den dritten Rang und klang im Nachgang dann meist auch ein wenig angegriffen.

Evmorfia METAXAKI blühte nach der Pause richtig auf. Anfangs ungewohnt zurückhaltend konnte sie ihre stimmlichen Stärken im dritten und vierten Akt voll ausspielen und berührte mit ihrer Interpretation von Mimis unstillbarem Hunger nach Wärme, Leben und Liebe.

Eine Musetta per excellence hat man in Lübeck mit Natalia WILLOT gefunden. Man sah und hörte eine junge Frau voller Lebensfreude und Koketterie, der man aber genauso abnahm, daß Verzweiflung, Armut und Not ihr ebensowenig fremd sind, wie sie im richtigen Moment sich auf das Wesentliche besinnt. Ein schönes, sehr reales Rollenporträt, das der Figur die angemessene Tiefe gab.

Deutlich aufgewertet wurde die Rolle Benoîts, der gleichzeitig als Alcindoro im Pariser Nachtleben unterwegs ist. Steffen KUBACH hatte augenscheinlich und hörbar viel Spaß an allen Aspekten seiner Rolle. Mark MCCONNELL (Parpignol), Chul-Soo KIM (Sergeant bei der Zollwache) und Yong-Ho CHOI (Zöllner) ergänzten durchweg gut.

Der CHOR (Leitung: Jan-Michael KRÜGER) puzzelte sich an diesem Sonntagnachmittag recht ordentlich zusammen, während die jungen Sänger des Kinder- und Jugendchor VOCALINO (Leitung Gudrun SCHRÖDER) für ein paar sehr niedliche Momente sorgten.

Die musikalische Leitung oblag GMD Stefan VLADAR. Da wird Lautstärke wird manchmal zum Problem, aber jenseits des allzu starken Auftrumpfens ließ das PHILHARMONISCHE ORCHESTER eine durchaus stimmungsvolle, differenzierte Puccini-Interpretation hören. Und nach den fünf Vorstellungen mit GMD-Dirigat in Hamburg und Lübeck der letzten Wochen muß man unumwunden zugeben, daß die Hansestadt an der Trave hier die Nase vorn hat.

Repertoire wie man es sich überall wünscht. Eigentlich hätte diese „Bohème“ es verdient, mehr als zwei Spielzeiten einen Platz im Repertoire des Lübecker Theaters zu haben. AHS

*The devil is a slasher, wir sind es auch.