Blickt man auf die musikalische Seite, läuft es in der Musiktheatersparte des Lübecker Theaters. Eine gut besetzte Verdi-Oper mit einer derart exzellenten Chor- und Orchesterleistung mal eben im Repertoire auf die Bühne zu bringen, gelingt nicht einmal jedem großen Haus.
Das PHILHARMONISCHE ORCHESTER ist aktuell in einer exzellenten Verfassung. Die Arbeit der letzten Monate trägt definitiv Früchte. Die musikalische Leitung oblag diesmal Ivo HENTSCHEL, der viel Gespür für Verdis Musik und die Gegebenheiten eines Opernhauses zeigte. Dominant und auftrumpfend klang das Orchester nur, wenn es angemessen war, ansonsten wurde das Geschehen klug und tadellos begleitet.
Auch CHOR und EXTRACHOR (Leitung: Jan-Michael KRÜGER), unterstützt vom Kinder- und Jugendchor VOCALINO, hatten wieder einen ganz großen Abend. Von der ersten Sekunde an machtvoll und einig im Klang, kollektiv tadellos. Einfach schön.
In der Titelpartie zeigte Marius VLAD eine bessere Leistung als in der Premierenserie. Weshalb er seine stärksten Momente genau dort hat, wo es ihn eigentlich die meiste Kraft kostet, erschließt sich nicht wirklich. Den Wahnsinn der Eifersucht seiner Figur, die Zweifel, die Steigerung hin zum Gattenmord und all die Tragik der Figur hörte man denn auch insbesondere zum Ende des zweiten und des dritten Aktes.
In Lübeck hat man einen Jago am Haus. Das ist ungemein praktisch, zumal Gerard QUINN die Rolle nicht nur singen, sondern auch erstklassig spielen kann. Der doppelgesichtige Charakter wurde ausgefeilt und stimmlich unglaublich elegant geformt. Das Verderben schien immer nur ein Lächeln, eine höfliche Verbeugung entfernt. Der Stimme liegen nicht nur die schmeichelnden Bögen, sondern auch die machtvollen Racheschwüre.
María Fernanda CASTILLO hinterließ als Desdemonaeinen zwiespältigen Eindruck. Einiges klang durchaus schön, hin und wieder ließen sich aber einige weniger schöne Schärfen hören. Es steht zu hoffen, daß dies dem kühlen Wetter geschuldet war. Mit etwas mehr Durchsetzungskraft und Mut könnte sie durchaus zu den ausnehmend guten Interpretinnen der Partie gehören.
Juraj HOLLÝ sang und spielte Cassio so unbekümmert, daß man gut nachvollziehen konnte, daß Otellos Verdacht stetig wuchs. Seine Stimme hat weiter an Kraft und Schönheit gewonnen. Schade, daß die großen Aufgaben woanders warten. Er wäre eine gute Ergänzung für das Lübecker Ensemble. Julia GROTEs Emilia ist von vornherein sehr präsent, was dem Auftrumpfen der Figur am Schluß wesentlich mehr Sinn verleiht. Hier lassen größere Partien hoffentlich nicht mehr lange auf sich warten.
Hojong SONG war als Rodrigo eher Stichwortgeber, während MinhongAN mit seinem Ludovico durchaus punkten konnte. Taras KONOSHCHENKO gelang es als Montano noch besser, seine kurzen Auftritte stimmlich wie in der Darstellung mit Präsenz zu füllen. Lucas Kurt KUNZE ergänzte als Herold.
Bernd Reiner KRIEGER hat Verdis Oper „Otello“ inszeniert – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Produktion konzentriert sich auf die vielfältigen Beziehungen zwischen den Figuren, was an diesem Abend auch besonders gut gelang.
Die von Katja GRZAM selbst getanzte Choreographie im ersten Bild mutet ein wenig merkwürdig an. Keine Ahnung, was die Künstlerin uns damit sagen möchte.
Die Kostüme (Angelika RIECK) sind ein wenig indifferent. Montanos Uniform ist ziemlich häßlich, wogegen man bei Cassios Kostüm den Eindruck hat, daß da jemand den Sänger unglaublich gern anziehen wollte. Otello wirkt eher klingonisch (im TOS-Stil). In Jagos Kostüm könnte der Sänger beinahe jede Rolle seines Fachs singen. Desdemona trägt zumeist klassisch weiß. Und doch ist alles, eben bis auf Montanos Gewandung, tragbar und kleidsam.
Momme RÖHRBEIN hat mit seinem Bühnenbild große Räume geschaffen und dabei mittels Requisiten doch für Intimität gesorgt. Gestützt wird dies von einer wieder tollen Lichtregie von Falk HAMPEL.
Eine runde Verdi-Produktion, die die emotionale Achterbahnfahrt des Stückes stützt und greifbar macht. AHS