Bei Cole Porter fällt wahrscheinlich dem durchschnittlichen deutschen Publikum zunächst nur „Kiss me Kate“ ein, und wenn man dann diverse andere seiner Hits erwähnt, kommt ein „Ach, das ist auch von dem?“ Das Theater Lübeck bietet hier einen guten Überblick zum Schaffen des Komponisten.
Michael WALLNER, der auch die Regie übernommen hat, fügt hier in einer reichlich absurden Handlung, die aber sehr wohl derjenigen mancher Broadway-Revuen sehr gut entspricht, eine Greatest Hits-Kollektion zusammen. Es geht um einen sterbenskranken Musicalproduzenten, der noch einen letzten Hit braucht, damit seine Tochter, die im Glauben, sie sei eine Waise, aufgewachsen ist, versorgt ist. Natürlich begegnen sich Vater und Tochter, ohne voneinander zu wissen, die Produktion steht kurz vor dem Aus, wird dann gerettet. Das Stück, was gespielt werden soll, ist fast noch abseitiger. All das bietet aber Gelegenheit, die Songs bestmöglich zu präsentieren. Und sämtliche Personen auf der Bühne scheinen mindestens genauso viel Spaß zu haben wie das Publikum.
Der absolute Höhepunkt dieser an Höhepunkten nicht armen Produktion ist die Darbietung von „Begin the Beguine“, mit einer völlig, dabei genau auf die Musik, durchdrehenden Bühnentechnik, scheinbar sinnlos entfesselt auf- und abfahrenden Bühnenteilen (sehe nur ich da eine Parodie auf Regisseure, die dies ernsthaft bis zum Gähnen des Publikums nutzen?), was die Sänger zur Nutzung von Leitern zwingt, amoklaufendem Licht, Reste aus anderen Inszenierungen werden kurz sichtbar… Absolut großartig. Die technische Abteilung überbietet sich da selbst.
Das Bühnenbild (Heinz HAUSER) ist sparsam eingesetzt, aber sehr funktional und setzt Orchester und Chor auf die hintere Bühne. Die Kostüme (Aleksandra KICA) sind kleidsam, bis im Falle der Diva Jesobel spektakulär. Auch die Choreographie von Andrea Danae KINGSTON ist zeitgemäß schmissig und wird von den drei Porter Girls (das Programmheft nennt noch vier) bestmöglich umgesetzt. Hinzu kommt, daß auch das Sängerensemble sehr bewegungsfreudig ist.
Das PHILHARMONISCHE ORCHESTER hat schon in der Vergangenheit häufiger bewiesen, wie gut es eigentlich gerade bei Musik aus der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts gleich welchen Genres ist, und tut es auch hier. Alexander WINTERSON am Pult gibt dem Ganzen noch zusätzlich Drive und Tempo. Der CHOR unter Jan-Michael KRÜGER, ganz weit hinten platziert, schafft es darüber hinaus, das richtige Feeling zu verbreiten.
Aber dazu kann das Theater Lübeck auch noch mit einer wirklich großartigen Besetzung aufwarten. Da ist Rudolf KATZER als Hermann, präsent und beim Versuch, das Stück irgendwie zusammenzuhalten, köstlich verzweifelt. Da ist Sara WORTMANN als verschollene Tochter Angel, ohne die Musical in Lübeck inzwischen kaum denkbar ist, die sowohl Balladen als auch schnelle Nummern beherrscht, ohne jemals schrill zu klingen.
Die Besetzung stellt dazu dann gestandene Opernsänger auf die Bühne, die dabei wirken, als hätten sie nie etwas anderes gemacht. Tenor Daniel SCHLIEWA als Komponist Cole, rundherum sympathisch, mit toller Stimme und schöner Phrasierung. Evmorfia METAXAKI, die als meist alkoholisierte Diva Jesobel und Nachtclubsängerin mit dem unglaublichen Namen Trouble Desaster mit sehr viel Sexappeal über die Bühne gurrt, tobt, tanzt und nur an passenden Stellen hören läßt, daß sie eigentlich ein Opernsopran ist.
Gerard QUINN als Eddie Pryce und Gangsterboss Mr. Big singt mit der gleichen absoluten Selbstverständlichkeit Cole Porter wie er auch Verdi singt, und macht dies auch noch perfekt. Und dann liefert er auch noch zusammen mit Steffen KUBACH die für mich nun ultimative Version von „Wunderbar“ ab, was sofort den leider unerfüllt gebliebenen Wunsch weckte, von beiden „Brush up your Shakespeare“ zu hören.
Kubach ist ja im Musical- und Operettenrepertoire regelmäßig kaum zu übertreffen. Hier beweist er es als Produzent Bill de Bill erneut. Er tanzt bewundernswert, wirkt immer spontan, aber sehr präzise, beherrscht auch mit Präsenz die Bühne und weiß um den Text sowohl bei den deutschen Dialogen als auch bei den englischen Songs.
Sollten die Theater erneut schließen müssen, kann man eigentlich nur hoffen, daß das Stadttheater Lübeck diese Produktion auf Video festgehalten hat und in Dauerschleife (gerne gegen Bezahlung) online zugänglich macht. Es gibt kaum etwas Besseres, um die Laune auch für deutlich länger als die Spielzeit von achtzig Minuten zu heben. MK