Endlich „Simon Boccanegra“ in Lübeck. Im ersten Versuch war diese Produktion der Corona-Zwangspause zum Opfer gefallen. Aber Glück im Unglück konnte man nun nicht nur ein oder zwei der tiefen Partien exzellent besetzen, sondern regulär gleich drei und durch einen Zufall schlußendlich sogar alle vier.
An erster Stelle ist hier natürlich Gerard QUINN in der Titelpartie zu nennen, der zwar immer noch mit einer recht hartnäckigen Erkältung angesagt, aber stimmlich bereits wesentlich besser in Form war als zur Premiere. Sein Simon Boccanegra ist ein Glanzstück an intensiver und vollendeter Gestaltung einer großen Verdipartie. In Verbindung mit dem Regiekonzept zeigen sich Tod und Wahn schleichend, aber stetig, wofür der Bariton stellenweise nur einen Blick, eine kleine Geste oder einen Seufzer benötigt.
Faszinierenderweise altert Quinns Simon zwischen Prolog und erstem Akt tatsächlich um 25 Jahre, was sich an Haltung, Agilität der Bewegungen und auch an der Stimmfarbe zeigt. Ganz großes Kino ist, wie die jüngere Version Simons für den Moment, in dem er Fiesco sagen kann, daß jenes Kind gefunden ist, noch einmal zurückkehrt.
Ein „Simon“ ohne guten Paolo ist nur der halbe Spaß. Jacob SCHARFMAN war sogar ein exzellenter Paolo, elegant in Stimmführung und Bewegung, jeder Zoll eine böse Tat. Daß der junge Sänger auch noch in keiner Sekunde an stimmliche Grenzen der Partie stößt, sondern jeden Ausbruch meistert, erfreut zusätzlich.
Pietro Changjun LEE macht alles aus der zudem noch szenisch aufgewerteten Partie und läßt eine große, für sein Alter (er ist im Opernstudio) unglaublich voluminöse, dabei aber sehr sicher geführte Stimme hören. Gerne mehr davon und auch in größeren Rollen.
Hatte man Almas SVILPA für die Premiere in einer recht abenteuerlichen klingenden Aktion als Einspringer aus Essen geholt, steht zu hoffen, daß er für diese zweite Vorstellung etwas früher engagiert wurde. Sein Fiesco war jedenfalls eine perfekte Ergänzung zu den drei anderen Herren, sowohl durch seine prägnante, dunkelsamtig klingende Stimme als auch mit der Intensität der Charaktergestaltung, Er hielt, was sein Wurm in Essen vor einiger Zeit schon versprach. Wahrlich eine triumphale Rückkehr nach Lübeck.
War die Klippe von Amelias Arie erst einmal genommen, entwickelte Flurina STUCKI die Figur zu einer jungen Frau, deren Selbstbewußtsein sich nicht in Mimik und Gehabe, sondern auch in der Stimme ausdrückte. Dieser Amelia traut man zu, daß eigentlich sie nach Simons Tod die Zügel in der Hand hat (mit Blick auf Gabriele ganz generell eine gute Idee). Man glaubt ihr auch sofort, daß sie instinktiv eine Beziehung zu Simone aufgebaut hat, obwohl er ja zu den Feinden ihrer angenommenen Familie gehört.
Yoonki BAEK ist nur dann wirklich gut, wenn er von der Regie gefordert wird. Sein Gabriele Adorno hatte damit auch nur am Schluß einen grandiosen Moment. Ansonsten verfiel der Tenor in seine hinlänglich aus Kiel bekannten, unschönen Angewohnheiten wie dem Aufreißen der Stimme und dem Anschleifen der Töne. Da ist schade, weiß man doch inzwischen, daß das auch anders geht.
Noah SCHAUL wurde für seinen Hauptmann das wohl albernste Tenorkostüm seit jenem legendären Arturo-Outfit verpaßt, was allerdings weder seiner stimmlichen Leistung noch seiner Bühnenpräsenz Abbruch tat. Magd Amelias Simone TSCHÖKE meistert ihre kurze Szene gut.
Bei CHOR und EXTRACHOR (Leitung: Jan-Michael KRÜGER) brillierten die Damen wieder einmal mehr als die Herren. Grundsätzlich muß man feststellen, daß am Premierenabend der Gesamtklang homogener war als in dieser zweiten Vorstellung.
Auch das ORCHESTER hatte am Premierenabend mehr überzeugt als an diesem zweiten Abend. Das mag auch an der musikalische Leitung von Takahiro NAGASAKI gelegen haben, dessen Dirigat in dieser Vorstellung vielfach zu laut war und zu wenig Konzentration in den ruhigeren Stellen zeigte. Gerade die Einleitung zu Amelias Arie, aber auch das Ausklingen des Duetts mit Simone kann schon mehr pianissimi auch aus dem Graben vertragen.
Pamela RECINELLA hat eine grundsolide Inszenierung auf die Lübecker Bühne gebracht. Der Tod als ständiger Begleiter des Dogen wird konsequent durchgehalten, und es ist nicht notwendig, erst das Programmheft zu lesen, um die Anlehnung an die Werke von Hieronymus Bosch oder Pieter Brueghel zu erkennen. Die Grenze zwischen Regiekonzept und Porträtieren durch jeweiligen Sänger verschwimmt aber sehr stark, wenn es um die Personenregie geht. Vielleicht gerade mit Blick auf die Titelpartie eine kluge Entscheidung, aus tenoraler Sicht weniger.
Während die von Jason SOUTHGATE entworfenen Kostüme zwischen kleidsam, akzeptabel und merkwürdig lagen, überzeugte sein Bühnenbild trotz Minimalismus mit Wandelbarkeit und den gut in die Szene übertragenen Stimmungen. Die Lichtregie von Falk HAMPEL trug hierzu wieder einmal einen Großteil bei.
Die Produktion wird in dieser Spielzeit noch einmal gezeigt und glücklicherweise in der neuen Saison auch wiederaufgenommen. Mit Blick auf die Möglichkeiten der aktuellen Lübecker Ensembles wünscht man sich, daß Verdi & Co. in der Programmplanung wieder ein höherer Stellenwert eingeräumt werden würde. MK & AHS