„Il viaggio a Reims” – 21. April 2017

Rossinis Oper um die Krönungsfeierlichkeiten Karls X. bzw. das vorläufige Stranden einer Reisegesellschaft auf dem Weg dorthin gehört seit dem ersten Sehen/Hören zu meinen Lieblingsstücken. Es beschert dem Zuhörer noch Tage nach der Aufführung den einen oder anderen Ohrwurm.

Die Lübecker Produktion entstand in Kooperation mit der Oper Kiel, wurde aber fast komplett aus dem hauseigenen Ensemble besetzt, was musikalisch ein echter Gewinn ist.

Der szenische Eindruck indes bleibt zwiespältig. Die Produktion von Pier Francesco MAESTRINI und Joshua HELD (Inszenierung/Comicfilm) in der Ausstattung von Alfredo TROISI hat an sich durchaus ihre Momente. Die Kombination zwischen Bühne und Comic harmonisiert perfekt. Die Grenzen sind fließend. Es ist bewundernswert, wieviel Arbeit hier in die Synchronizität gesteckt wurde, was sich auszahlt. Als Bonbon bekommt man den besten Brexit-Kommentar überhaupt serviert.

Auf der anderen Seite werden viele Gags so oft wiederholt, bis sich auch der letzte Zuschauer lachend auf die Schenkel haut. Viele der Witze und auch ein Großteil der Charakterisierung der Figuren bewegen sich zudem auf Mario Barth-Niveau, was einen recht faden Beigeschmack hinterläßt. Der erste Eindruck wurde auch beim zweiten Besuch nicht revidiert.

Bühnenbeherrschend bei den Damen war Wioletta HEBROWSKA als Marquise Melibea. Weshalb die Figur sich bei wirklich jeder bietenden Gelegenheit auf jeden anwesenden Mann stürzt, bleibt allerdings ein Geheimnis der Regie. Gerade hier wirkte die Wiederholung ausgesprochen ermüdend. Der stimmlichen Interpretation tat es glücklicherweise keinen Abbruch. Es fällt dem Mezzo scheinbar leicht, aus jeder erdenklichen Verrenkung heraus noch eine höchst anhörbare gesangliche Leistung hervorzubringen.

Rollendeckend kapriziös gab Emma McNAIRY die Gräfin von Folleville. Schrill, ohne je schrill zu klingen, zog sie immer wieder die Aufmerksamkeit auf sich. Zu schrill in seinem Gebaren geriet Chevalier Belfiore. Marco STEFANIs Stimme hat einen geeigneten Klang für die Partie, wobei ich auch bei Rossini eher ein Fan kerniger klingender Tenorstimmen bin.

Das größte Ärgernis der Produktion ist sicherlich das bewußt als langweilig Einstufen von Corinnas Lobgesang auf Karl X. Da wurde pflichtschuldig nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Zuschauerraum gegähnt, was Evmorfia METAXAKIs Darbietung in ihrer stimmlich so variantenreichen Perfektion auf keinen Fall verdient hatte.

Einen großartigen Don Profondo brachte Taras KONOSHCHENKO auf die Bühne. Agil in Gesang und Spiel, ob jodelnd oder perfekt in der Imitation seiner Kollegen bei „Io, Don Profondo“, bewies er hier die hohe Kunst einer gelungenen Operndarbietung.

Steffen KUBACH hat mit Baron von Trombonok eine weitere Glanzrolle für sein Repertoire gefunden und widerlegt, das Gerücht, die Deutschen hätten keinen Humor mit gewohnt entspannter Leichtigkeit.

Weshalb Lord Sidney seine unerwiderte Liebe zu Corinna nun partout in jeder Menge Alkohol ertränken muß und dauerhaft betrunken über die Bühne wankt, bleibt ein Rätsel. Schade um die Figur und ihre Möglichkeiten. Bei Gerard QUINN geriet das erste Solo des Lords recht verdi-esk, was aber durchaus paßte. „Del grand’Enrico“ im 2. Teil war meisterlich gesungen, ging aber leider etwas im Tumult des erwähnten Brexit-Kommentars unter.

Andrea STADEL gab Madame Corteserecht solide, ohne Ausreißer ins besonders Positive oder Negative. Daniel JENZ wirkte als Libenskof verwirrend unrussisch. Jedenfalls war es schwer zu erkennen, was dem Zuschauer mit der Figur gesagt werden sollte. Irgendwie scheint das Fach auch nicht hundertprozentig auf seine Stimme zu passen. Man hatte den Tenor in anderen Rollen schon besser gehört.

Johan Hyunbong CHOIs Don Alvaro überzeugte mit seiner Darbietung des spanischen Liedes im 2. Teil. Hier konnte er über die Funktion des bloßen Stichwortgebers hinauswachsen und mit der Qualität seiner Stimme punkten.

Ausgezeichnet besetzt waren auch die kleinen Rollen mit Seokhoon MOON als Don Prudenzio, Hyungseok LEE (Don Luigino/Zefirino), Caroline NKWEals Delia (in solchen Schuhen unfallfrei über die Bühne zu stöckeln – Hut ab!), Fiorella HINCAPIÉ (Maddalena/Modestina), Tim STOLTE (Antonio) und Svyatoslav MARTYNCHUK als Gelsonimo. Es steht zu hoffen, daß dem Lübecker Haus noch länger eine so große Auswahl talentierter junger Stimme erhalten bleibt.

Der CHOR (Leitung: Jan-Michael KRÜGER) war wie einige der kleineren Partien auch in mit den Comicfiguren korrespondierenden Kostümen (inkl. überdimensionierter Pappmacheköpfe). Die Damen und Herren zeigten sich aber trotz der Maskerade präzise im Gesang und höchst spielfreudig.

Daniel CARLBERG leitete das PHILHARMONISCHE ORCHESTER mit viel Gefühl für die unterschiedlichen Stimmungen und sorgte für recht inspirierten Rossini-Klang.

Zurück bleibe ich mit der Überlegung, ob es nun besser wäre, wenn mein Humor massenkompatibler wäre, oder ob ich das nächste Mal einfach auf eine Fahrt nach Lübeck verzichte. Um Stück und Besetzung wäre es allerdings schade. :-/
AHS