„La Damnation de Faust“ – 20. Februar 2015

Was vermag ein guter Regisseur? Er führt den Zuschauer, der das dargebotene Stück vielleicht noch nie live gesehen hat oder dem es wenig vertraut ist, mit wenigen Mitteln und unaufgeregt durch den Abend, erschafft aber auch für den Kenner Momente der Überraschung. Er setzt Akzente auf musikalische oder textliche Momente der Oper und unterstützt die Sänger dabei, die Figuren als glaubhafte Charaktere auf die Bühne zu bringen.

Anthony PILAVACHI ist bekanntermaßen ein Meister in genau diesen Dingen. In der aktuellen Berlioz-Produktion am Theater Lübeck zeigt er wieder sein Händchen für Wendungen und legt zudem Augenmerk auf die kleinen, eher versteckten Details der eigentlich hinlänglich bekannten Geschichte. Die Lösung, die vom Regisseur dazu gefunden wurde, ist ironisch, menschlich und irgendwie genial.

Besser als in dieser Produktion kann man sich als Zuschauer „La Damnation de Faust“ kaum nähern. Die komplexe Geschichte mit den vielen Bilder wirkt wie aus einem Guß, und die Spannung reißt den gesamten, eigentlich viel zu kurzen Abend über nicht ab.

Die Bühne (Stefan HEINRICHS) wurde in zwei Spielflächen, getrennt durch Vorhänge – mal durchsichtig, mal nicht, unterteilt. Vorn das Refugium Fausts, sein Studierzimmer, in dem sich auch seine Schlafstätte findet. Oder ist es doch die Zelle, in der er sein Dasein umgeben von seinen Visionen fristet? Die Schriftzüge auf den Seitenwänden zeugen von Wahn ebenso, wie vom Drang, sich der Welt mitzuteilen.

Das pralle Leben findet zumeist jenseits dieser Enklave, auf dem hinteren Bühnenteil statt. Hier kommt man mit minimalistischer Bühnengestaltung aus, ohne daß dies störend wirkte. Die auf die hintere Bühnenwand projizierten Videos (Franziska FUNKE & Stefan HEINRICHS) waren vom 3. Rang leider nur zum Teil zu sehen. Das, was man sah, paßte aber stets zu Stimmung und Szene. [Wo bitte kann man dieses Computerspiel bekommen?!] Constanze SCHUSTER schuf Kostüme, die den Bogen vom Klassiker zur Neuzeit schlugen.

Doch nicht nur szenisch kam man auf seine Kosten, gerade auch die musikalische Umsetzung war grandios.

Andreas WOLF, der schon zwei Wochen zuvor in dem 1/3-Tannhäuser ausgesprochen positiv überraschte, hatte den Abend perfekt im Griff, ohne daß man den Eindruck von zu wenig Freiraum für die Sänger hatte. Man hörte eine ausgesprochen lebendige Interpretation, die perfekt mit dem Geschehen auf der Bühne harmonisierte.

Die LÜBECKER PHILHARMONIKER setzten die Erfolgsserie der letzten Monate fort. Mittlerweile scheint es tatsächlich egal, welcher Komponist, welche Epoche gegeben wird, alles klingt homogen und wird meisterhaft gespielt.

Marguerite ist bei Wioletta HEBROWSKA in besten Händen. Die Sängerin durchmißt die Rolle mit beeindruckender Perfektion, ihr Mezzo ist wunderschön timbriert, sie weiß in jedem Moment um die Partie. Sie bleibt darstellerisch bis kurz vor dem Ende sehr beschränkt auf das unerfahrene, unschuldige Mädchen, um dann im Finale umso mehr aufzutrumpfen.

Jean-Noël BRIEND ist eine gute Wahl für den Faust. Zwar ist er kein Sänger für mörderische Höhen, doch seine Interpretation geht über das Bemühen um reinen Schöngesang hinaus und formt so ein ausgesprochen realistisches Bild des Gelehrten. Unbedingt erwähnt werden muß noch Jöran ROHLF als stummer Kind-Faust, der extrem präzise spielte.

Mit dem Méphistophélès hat Taras KONOSHCHENKO sich geradezu selbst übertroffen. Man möchte ihm unwillkürlich sofort auch die Mephistos von Gounod und Boito offerieren. Es deutete sich in den bisherigen Rollen an, was jetzt zur vollen Entfaltung kam. Ein perfekt geschulter Baß, ohne Schwierigkeiten in Höhe oder Tiefe, elegant phrasierend, und dazu auch noch mit jener gefährlichen Nonchalance ausgestattet, ohne die der Teufel viel weniger erfolgreich wäre.

Als Brander nutzt Seokhoon MOON seine kurze Episodenrolle, um sowohl darstellerisch als auch stimmlich sehr positiv aufzufallen.

CHOR und EXTRACHOR (Leitung: Joseph FEIGL) hat gesanglich schon bedeutend bessere Abende gehabt als diesen. Möglicherweise lag es an der Konzentration auf die Sprachbehandlung, was eigentlich aber nicht nottat. Positiv ist allerdings eindeutig zu vermerken, daß die anspruchsvolle darstellerische Leistung auf hohen Niveau war. Da saß jede einzelne Geste.

Das Sylphenballett der TANZSTATISTERIE (Choreographie: David Winer-Mozes) wirkte in all dem Treiben ein wenig antiquiert, bildete so aber einen guten Kontrast zur Videoinstallation.

Man könnte viel mehr über diesen Abend erzählen, doch das hieße die Spannung am Entdecken nehmen. Gerade die Schlußlösung ist ebenso überraschend wie intelligent. Diese Produktion ist definitiv einen zweiten, dritten Besuch wert. Auf keinen Fall sollte man sie verpassen.

Leider war nach der Premiere zu lesen, daß Anthony Pilavachi angekündigt hat, nicht mehr in Lübeck arbeiten zu wollen. Wer in diesem Zusammenhang was gesagt, getan haben soll oder auch nicht, wurde in der Lokalpresse zur Genüge breitgetreten und gehört auch nicht hierher.

Nur eines vielleicht. Mit Arbeiten wie denen von Anthony Pilavachi gewinnt man vielleicht nicht jeden Preis, aber auf alle Fälle die Zuneigung des Publikums.
MK & AHS