„Die Passagierin“ – 19. Oktober 2024

Mieczysław Weinbergs Oper hat nach der Uraufführung (2006 konzertant, 2010 szenisch, also um die vier Jahrzehnte nach der Komposition und zehn bzw. vierzehn Jahre nach dem Tod des Komponisten) einen beachtlichen Erfolg zu verzeichnen. Das mag auch an der für ein 1968 komponiertes Stück sehr tonalen, melodiösen Musik liegen, bei der man Anleihen bei Wagner und natürlich dem guten Freund von Weinberg, Schostakowitsch hören kann.

Das Thema ist düster, auf einem Ozeandampfer kommt es Anfang der sechziger Jahre zu einer Zufallsbegegnung zwischen einer KZ-Aufseherin und einer Auschwitz-Überlebenden. In Rückblenden wird erzählt, was damals dort geschehen ist.

Die Regie von Bernd Reiner KRIEGER bleibt hier einiges schuldig, zeigt sich dem Thema nicht gewachsen. Das absolute Grauen von Auschwitz ist merkwürdig unbestimmt, es wirkt fast zu harmlos für das täglichen Massenmorden. Für die Handlung auf dem Ozeandampfer hingegen fehlt es dann wieder an einem Spannungsbogen, Marta, die Überlebende, erscheint vor der Pause kaum greifbar. Das mag Absicht sein, um zu zeigen, wie Lisa, die Aufseherin i Zweifel ist, ob es wirklich Marta ist; aber es wäre auch vorstellbar, hier die Spannungsschraube schon früher anzuziehen. So zieht sich der erste Teil doch sehr. Nach der Pause hingegen ist der Bogen durchaus vorhanden.

Das Bühnenbild von Hans KUDLICH ist aufwendig mit dem Wechsel zwischen Schiff und der von unten hochgefahrenen Baracke im Lager oder der Bereich, in welchem die Zwangsarbeit verrichtet wird. Die Kostüme von Ingrid LEIBEZEDER sind auf dem Schiff sehr prächtig und passen in die Zeit, diejenigen aus der Vergangenheit sind angemessen (wobei, eine weibliche Gefangene mit rosa Wimpel?).

Gesungen wird in meist deutscher Sprache, wobei die Häftlinge untereinander in ihren Landessprachen unterhalten, soweit sie eine gemeinsame haben. So hört man das Duett von Marta mit ihrem Verlobten Tadeusz auf Polnisch, Katja singt ihr Lied auf Russisch. Mehrere Figuren singen nicht, sondern sind reine Sprechrollen.

Die Besetzung kann sich hören lassen. Da ist Adrienn MIKESCH als Marta mit lyrischem, aber durchaus zu dramatischen Ausbrüchen fähigem Sopran, die insbesondere im zweiten Teil der Figur Konturen gibt. Als Tadeusz gibt Jacob SCHARFMAN der Musik noch einmal einen besonderen Klang mit der tiefen Verzweiflung, aber dem Willen, sich nicht brechen zu lassen, die sein Bariton verströmt.

Marlene LICHTENBERG als Lisa singt eigentlich für diese Person viel zu schön, mit Aplomb und großen Mezzo, der an keine Grenzen stößt. Daß ich teilweise das dringende Bedürfnis hatte, diese Lisa über Bord zu werfen, liegt an deren Charakter, den die Sängerin gut darstellt. Ihr Mann Walter, der sich nach anfänglichem Schrecken mehr damit auseinandersetzt, was die Ehe mit einer ehemaligen KZ-Aufseherin für seine Diplomaten-Karriere bedeuten könnte, wurde von Konstantinos KLIRONOMOS gesungen, der die Tenortöne für diese Partie ausnahmslos hatte.

Martas Mithäftlinge waren durchgehend großartig besetzt, allen voran Katja (Natalia WILLOT, erschütternd, aber unbeugsam) und Hannah (Delia BACHER, bei der man von Beginn an hören konnte, daß sie weiß, was mit ihr geschehen wird) sowie Yvette (Elizaveta RUMIANTSEVA), Krystina (Frederike SCHULTEN), Vlasta (Aditi SCHMEETS), Bronka (Julia GROTE) und Ina HEISE als alte Frau.

Die drei SS-Schergen (Viktor AKSENTIJEVIĆ, Changjun LEE und Wonjun KIM) sangen eigentlich viel zu schön für solche Verbrecher. Mark McCONNELL (Steward) (älterer Passagier), EICHENBERG (Oberaufseherin) und Ulrike HILLER (Kapo) ergänzten.

Der CHOR und EXTRACHOR (Leitung Jan-Michael KRÜGER) hätte szenisch etwas mehr Regieführung vertragen können, hielt aber das gesanglich hohe Niveau der Solisten.

Takahiro NAGASAKI holte alles aus dem tadellosen PHILHARMONISCHEN ORCHESTER heraus, daß es manchmal fast zu schön klang, ist der Komposition anzulasten. Die Zitate wurden großartig herausgearbeitet, der „Lieblingswalzer des Kommandanten“ blieb lange im Ohr mit seinem Schrecken. MK

P.S.: Wenn rhythmisches Klatschen am Ende einer Vorstellung jemals fehl am Platze gewesen ist, dann sicherlich hier. Die Assoziationen, die dies weckte, waren mehr als unangenehm.