„Unter die Haut“ – 19. September 2020

Nach mehr als sechs Monaten endlich wieder Oper als Live-Erlebnis für uns Nordlichter. Sicher hätten wir uns auch schon ein paar Tage früher die eine oder andere Vorstellung anschauen können, aber mit Blick auf das Programm, insbesondere in Hamburg, fiel die Wahl doch rasch auf den Galaabend des Lübecker Musiktheaters.

Die Moderation zeigte gleich ein großes Plus der neuen Intendanz. Bernd KRIEGER, Regisseur und aktuell Künstlerischer Betriebsdirektor Musiktheater/Stellvertretender Operndirektor, Schauspielerin und Sängerin Sara WORTMANN sowie Ensemblemitglied Steffen KUBACH führten professionell, aber nicht ohne Witz durch den Abend. An manchen Stellen betroffen? Klar, wie sicherlich jeder aktuell, aber eben nie betroffenheitsschwanger oder überintellektuell.

Die musikalische Leitung des Abends oblag Stefan VLADAR, GMD und nun auch Operndirektor des Hauses. Als sinfonische Beiträge hörte man Benjamin Brittens „Four Sea Interludes“, ein Versprechen auf die Zukunft sozusagen, da, wie man erfuhr, Brittens Werke zukünftig zu den Programmschwerpunkten gehören sollen. Wo man sich hier noch ein wenig mehr Fallenlassen und Vertrauen auf die Musik wünschte, geriet die Begleitung des Gesangsprogramms unglaublich klangschön und berührend.

Das PHILHARMONISCHE ORCHESTER brillierte, als hätte es nie eine Pause gegeben. Wenn diese Form konserviert würde, kann man sich auf eine tolle, wenn auch natürlich etwas reduzierte Saison freuen.

Mit Sara Wortmann begann der gesangliche Teil des Abends. „Send in the clowns“ von Stephen Sondheim, sie ließ eine erfreuliche Musicalstimme hören. Der Text des Songs paßte gut auf die aktuelle Situation.

Nach diesem eher bedächtigen Beginn wurde mit „Im Feuerstrom der Reben“ (sowie mit fahrbaren Plexiglaswänden) die Bühne vom Gesangsensemble erobert. Evmorfia METAXAKI sang einen furiosen, über alle Maßen lebendigen Prinz Orlofsky und verlieh später Puccinis Lauretta mit „O mio babbino caro” makellos anmutig, aber recht artig Stimme.

Johan Hyunbong CHOI sollte das Thema Wortdeutlichkeit vielleicht noch einmal angehen. Seinem Escamillo ging dies ab. Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß er das Stück mit zuviel Selbstbewußtsein anging, weil er gegen Ende auch rhythmisch ungenau wurde.

María Fernanda CASTILLO hatte ihren perfekten Moment im „Boheme“-Duett „O soave fanciulla“. Die romantische Attitüde ihrer Mimi hielt kein Plexiglasschirm auf, und auch ohne adäquaten Partner gelang es ihr, einen gesanglichen Glanzpunkt zu setzen. Für das künstlerisch vollständige Durchmessen von Verdis „Pace, pace, mio Dio” ist es vielleicht doch noch etwas zu früh.

Die Arie des Fürsten Jeletzki aus Tschaikowskis „Pique Dame“ war ein ausgezeichnetes Vehikel für Gerard QUINN, Kraft und Klangschönheit seiner Stimme sowie seine stets so mühelos klingende Phrasierung einmal auf Russisch zu präsentieren.

Ein Intendanzwechsel ist immer auch ein bisschen wie ein Trainerwechsel beim Fußball. Wer bleibt? Wer kommt? Wie erfolgreich wird das neue/alte Team? Der Transfer von Tenor Yoonki BAEK vom Kieler Opernhaus nach Lübeck gemahnt eher an den HSV. In diesem Galakonzert durfte er sich u.a. als Eisenstein, Rodolfo und Cavaradossi sowie in der Zugabe als Stolzing versuchen. Tja nun.

Zweiter Neuzugang in Lübeck ist der Baß Rúni BRATTABERG. Bei Affinität zu Strauss‘ Musik hat, fand man seinen Ochs ein wenig zu operettig. Bei weniger Affinität schaltete man einfach ab. Als Pistola brummte er sich durch die Verdis „Falstaff“-Schlußfuge

Zum Ende hin konnte man doch noch etwas vom tenoralen Glanz erhaschen, den man in den großen Tenorpartien des Abends vermißte. Daniel SCHLIEWA machte sowohl als Bardolfo, als auch in der Zugabe als David eine stimmlich sehr gute Figur.

Seine Kolleginnen Virginia Felicitas FERENTSCHIK (Mercedes, Meg), Nataliya BOGDANOVA (Adele, Frasquita, Nanetta) und Milena JUHL (Carmen, Mrs. Quickly) bewiesen in den Ensembleszenen, dass das Lübecker Opernelitestudio aktuell insgesamt großartig besetzt ist.

Das Publikum feierte diese Konzertpremiere mit Recht enthusiastisch. Die ungewöhnliche Wahl des Quintetts „Selig wie die Sonne“ aus Wagners „Meistersinger“ als Zugabe war eine schöne Idee. Noch schöner wäre eine weitere Zugabe gewesen. MK + AHS