„Christophe Colomb“ – 12. Oktober 2019 (Premiere)

Das Lübecker Musiktheater ist ein Zuhause für Opern aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, und das PHILHARMONISCHES ORCHESTER hat sich unter der Leitung von Andreas WOLF zu einem DER Klangkörper für diese musikalische Epoche entwickelt. Auch Darius Milhauds Oper mit Szenen aus dem Leben Christoph Kolumbus‘ wurde zum Hörerlebnis par excellence. Im Graben wurde in jedem Augenblick exakt und sauber, aber doch mit viel Temperament und Leidenschaft gespielt. Man hörte eine minuziös erarbeitete Interpretation mit Liebe zum musikalischen Detail, die dynamisch und ohne jede Längen den Zuhörer mitzureißen vermochte.

Auf der Bühne wurde es nicht der Abend der Titelfigur und damit von Johan Hyunbong CHOI als Christophe Colomb, sondern der von Daniel JENZ als Teufel in seinen vielfältigen Erscheinungen (Opposant/Cuisiner/Valet/Sultan/Majordome/Zeremonienmeister). Der Tenor meldete sich mit einer perfekten Symbiose aus musikalischer und schauspielerischer Darbietung in Lübeck zurück. Bühnenbeherrschend als Figur und exzellent gesungen – Hut ab!

Evmorfia METAXAKI besitzt die Gabe jegliche Partie, egal aus welcher musikalischen Epoche, ohne jede Schärfe und stets mit vollendeter Sprachbehandlung zu singen. Der spanischen Königin Isabelle gab sie rollenkonform königliche Ausstrahlung und charakterisierte deren religiös befeuerten Wahn perfekt.

Hojong SONG, Beomseok CHOI und Juhwan CHO als Gehilfen des Teufels und mit einer ebenso vielfältigen Menge an Rollen wie jene Figur erinnerten musikalisch und auch im Spiel stark an die drei Minister in Puccinis „Turandot“. Über den Abend waren die Figuren trotz der zumeist guten stimmlichen Leistungen auch ähnlich enervierend.

Neben den Auftritten als Délegué/Un de officiers war es das kurze Solo des Christophe Colomb II, mit dem Gerard QUINN gesanglich brillierte. Angela SHIN (Femme), Milena JUHL (Mère/Altsolo) und Claire AUSTIN (Duchesse/Sopransolo) beeindruckten sowohl solistisch als auch im stimmlichen Zusammenspiel.

Zachary WILSON sang den Engel (Messager) imponierend schön. Als Ixtlipetzloc gab er gemeinsam mit Mario KLEIN (Huichtlipochtli), der auch eine gute Einzelleistung als Le Roi d’Espagne bot, Daniel SCHLIEWA (Tlaloc) und Tim STOLTE (Quezalcoatl) den Azteken gesanglich Gestalt. Tomasz MYSLIWIEC (Stimme im Ausguck) und Minhong AN (Patron/Un de Savants) vervollständigten den guten Eindruck des Ensembles.

CHOR und EXTRACHOR (Leitung: Jan-Michael KRÜGER) lieferten bei ihren szenischen und musikalischen Aufgaben eine achtbare Leistung. Allerdings wird man das Gefühl nicht los, daß es etwas frischen Wind bräuchte, um wieder durchgängig an frühere Glanzleistungen anzuschließen.

Die Inszenierung vermochte es interessante, teilweise tatsächlich starke Bilder zu erzeugen. Das Team um Regisseur Milo Pablo MOMM balancierte auf dem schmalen Grat zwischen moderner Sichtweise und Mythos. Das gelang nicht immer. Das letzte Bild mit Christophe Colomb als Christus am Kreuz vor dem blutbefleckten Hintergrund war in Aussage und Metapher dann doch zu viel des Guten.

Man bediente sich Stilmittel aus der (ursprünglichen) Entstehungszeit der Oper, indem man kurze Filme einband oder dem Sprecher eine exaltierte Sprechweise gab, wie man sie u.a. aus der „Dreigroschenoper“ kennt.

Das Bühnenbild von Erika HOPPE war praktisch gestaltet und funktionierte mit den verschiedenen Sektoren auf der Drehbühne wesentlich besser und wirkte auch dynamischer als zuletzt in der „Traviata“-Produktion. Licht war in diesen Räumen ein wichtiger Faktor, und Falk HAMPEL brachte dies mit seiner Lichtregie wieder einmal auf den Punkt. Die Videos (Martin LECHNER) wurden als begleitende Mittel zur Bühnengestaltung eingesetzt, ohne daß sie zuviel oder aufdringlich waren.

Die Choreographie von Jessica NUPEN beeindruckte besonders, als der Chor mit wenigen Requisiten zu den Schiffbesatzungen wurde und später mit ebenso einfachen Mitteln sowohl diese als auch Wind, Wellen, das wogende Meer darzustellen wußte.

Sebastian HELMINGER (Kostüme) ließ die gesichtslose Masse als buchstäblich ebensolche in schwarz von Kopf bis Fuß auftreten. Keine Ahnung wie es sich damit singt. Ansonsten war weiß die Farbe, die trotz religiöser Farbigkeit im Gedächtnis blieb.

Am Ende fehlte leider der Bogen, der aus all diesen Elementen eine durchgängige Geschichte formte. Zwar fungierte der Erzähler (Merten SCHROEDTER) als verbindendes Glied, aber auch ihm gelang nicht dieses letzte, fehlende Stück zu überbrücken.

Dafür und auch für eine Erklärung, wofür die drei wissenschaftlichen Berater genutzt wurden, hätte vielleicht auch ein Programmheft geholfen. Seit der aktuellen Spielzeit gibt es in Lübeck aber nur noch Programmflyer.

Oper aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert ist auch jenseits des bekannten Repertoires musikalisch vielschichtig, spannend und schlicht begeisternd. Bitte unbedingt rein und selbst anhören! AHS