„Der Freischütz“ – 12. Oktober 2018 (Premiere)

Um es kurz zu machen, das war wohl der beste „Freischütz“, den ich je gehört habe. Was Andreas WOLF mit Orchester, Chor und Gesangssolisten an diesem Premierenabend auf die Beine gestellt hat, ist schlichtweg unglaublich. Selten darf Webers Musik so pointiert, mitreißend und dynamisch klingen. Gibt es den perfekten Klang? Wenn ja, war man hier ganz, ganz dicht dran. Von der Exaktheit und Leidenschaft, mit der das PHILHARMONISCHES ORCHESTER dabei spielt, könnten sich die Hamburger Kollegen gern eine Scheibe abschneiden.

Auch Jan-Michael KRÜGERs Arbeit mit dem Lübecker CHOR und EXTRACHOR hat sich hier ausgezahlt. Kein Gehampel, keine wie auch immer geartete Aktion beeinflußte die Klangschönheit mit der die Damen und Herren, die hier auch Samiel fungierten, sangen.

Max ist mit Tobias HÄCHLER exzellent besetzt. Ein weiterer Sänger in diesem Fach, der sich nicht allein auf die Strahlkraft seiner Stimme und die Wirkung der Hits seiner Partie verläßt, sondern dem es auch gelingt, die weniger exponierten Momente wirken zu lassen, und dem manchmal sonst so eindimensional gezeigten Charakter Tiefe zu verleihen.

Auch wenn es die Häuser nicht mögen, man geht doch häufig wegen Sängern in die Oper. Diesmal war es, zugegebenermaßen neben der Neugier auf das Dirigat, die Besetzung von Taras KONOSHCHENKO als Caspar. Man wurde nicht enttäuscht. Mit der tiefdunklen Stimme voller Schattierungen und Nuancen, der Agilität nicht nur im Gesang, sondern auch im Spiel gelang ihm ein ausgewogenes Rollenporträt. Zum Glück dauert es bis zum Boris nicht mehr so lange.

Die genannten Leistungen hin oder her, es war unbestritten Andrea STADEL, die als Ännchen die Bühne rockt. Bitterböse und selbstbewußt, fern von dem begleitenden Gepiepse, das der Rolle sonst oft eigen ist, hatte sie die Bühne bei jedem ihrer Auftritte im Griff und klang genauso hervorragend wie sie spielte.

Agathe ging zwischen all dem ein wenig unter. María Fernanda CASTILLO lieferte eine gute Leistung. Es fehlte nur ein wenig Spannung, das letzte Quentchen an Leidenschaft und Elan.

Steffen KUBACH ist zweifelsohne der geborene Entertainer, aber hier war irgendwie zuviel des Guten. Kilian als Hans Dampf und der deutsche Michel im Publikum spielt juchzend mit. Ähnliche Gefühle weckte auch der Auftritt der Brautjungfern (Claire AUSTIN, Angela SHIN, Iuliia TARASOVA, Ina HEISE).

Lucas Kurt KUNZE hinterließ als Cuno einen hervorragenden gesanglichen Eindruck. Er nennte eine wirklich schöne Stimme sein Eigen. Der letzte Akt gehörte ganz und gar dem grandiosen Sangesduell zwischen Gerard QUINN als Ottokar und Minhong AN in der Rolle des Eremiten.

Die szenische Seite läßt die musikalische wie so oft in letzter Zeit in Lübeck leider im Stich. Jochen BIGANZOLI gehört zu den Favoriten der aktuellen Intendanz. Bespielen des Zuschauerraums, ständiges Unterbrechen der Handlung, Einbinden des Publikums, Licht im Zuschauerraum an, großflächige Videos, Halligalli, angebliche Tabubrüche – ach, bitte, das ist so 90er. Leider bleibt hier erneut die eigentliche Beziehung der Protagonisten auf der Strecke. Was treibt Agathe, an ihrer Beziehung zu Max festzuhalten? Weshalb ist Max bereit, alles zu riskieren, selbst den Teufel zu Hilfe zu rufen?

Das Bühnenbild (Wolf GUTJAHR) erinnert stark an „Der ferne Klang“. Statt des Glitzervorhangs bedeckt allerdings eine Videoleinwand die Rückseite. Tatsächlich scheinen aber genug Glitzer und Pailletten von Biganzolis letzter Lübecker Inszenierung übriggeblieben zu sein, es findet sich einiges davon in den Kostümen von Katharina WEISSENBORN.

Es gibt einen Kameramann, der das Geschehen festhält und den Protagonisten dabei ein ums andere Mal arg auf die Pelle rückt. Die auf die rückwärtige Leinwand projizierten Videos kann man vom obersten Rang aus dann aber nur zur Hälfte sehen.

Ich habe eventuell eine Idee davon, was der Regisseur sagen möchte, und wenn es das ist, sind es Dinge, die zu sagen es lohnt. Aber warum bitte macht er dann einen solchen Zirkus daraus?! Aber vielleicht will er auch gar nichts sagen, sondern nur den größtmöglichen Spaß haben, mit dem buhenden Premierenpublikum als Höhepunkt. Wer weiß. Es gibt Regisseure, die können Videoinstallationen, das Kommentieren aus dem Stück heraus und andere eigene Ideen auf die Bühne bringen und in den Dienst des Stückes stellen. Letzteres fehlte hier einfach.

Die Frage in meinem Bekannten- und Freundeskreis ist nicht mehr, die nach der Musik, den Sängern oder der Orchesterleistung, es heißt zumeist: Wie ist die Produktion? Irgendwie schade, denn man kann noch soviel von der musikalischen Seite schwärmen, am Ende bleiben sie meist Zuhause. Die nächste neue Lübecker Opernproduktion, Massenets „Werther“, werde selbst ich mir nicht anschauen, weil allein der Gedanke daran, was die Regisseurin wohl mit dem Stück tun könnte, mich davon abhält. Und so unwichtig es ist, ob ich mir nun eine Karte kaufe oder nicht, ist da doch der traurige Gedanke, wie viele Leute es mir wohl gleich tun werden. AHS