„Il barbiere di Siviglia“ – 4. Mai 2018

Manchmal kommt man sich schon vor wie diese „früher war alles besser“-Leute. Man will es gar nicht sagen, nicht einmal denken, aber es geht einfach nicht anders, und gerade beim neuen Lübecker „Barbiere“ blutet einem das Herz, wenn man die aktuelle mit der vorhergehenden Inszenierung dieser Oper am Haus vergleicht.

Nachdem ich die Premiere verpaßt hatte, hatte ich nach einem ersten Blick auf die Fotos auf der Theaterwebsite (und mit dem Gedanken an den letzten „Hit“ des Produktionsteams) eigentlich schon gar keine Lust mehr, aber die Besetzung war doch zu interessant. Also, allen Mut zusammengenommen und rein.

Gesanglich wurden alle Erwartungen erfüllt.

Mit Gerard QUINN in der Titelpartie, konnte das Theater Lübeck nichts falschmachen. Viel ist hier und auch von anderen an Lob für seine gesanglichen und darstellerischen Leistungen schon geschrieben worden. Was stets begeistert, sind die kleinen Ideen, die die Figuren immer wieder ein bißchen anders zeigen. Ein Twist, ein frischer Blick. Und so war dieser Figaro am besten, wenn die Regie kurz außen vor blieb, und Rossinis Titelheld mit seinem natürlichen Witz und durchaus auch einer gewissen Gefährlichkeit hervorblitzte.

Wioletta HEBROWSKAs Rosina fehlte es ein wenig an Koketterie und der Figur eigentlich gegebenen Leichtigkeit. Aber wie soll das auch funktionieren, wenn man mit Tippelschritten über die Bühne walzen muß. Stimmlich gelang die Interpretation da besser. Der Mezzo klang kraftvoll. Die Koloraturen gelangen perfekt. Alles rundum auf den Punkt.

Juraj HOLLÝs Stimme ist sicherlich bereits über den Conte Almaviva hinaus, aber ihre Kernigkeit und die Kraft, mit der sie sich mühelos über das machtvoller als üblich klingende Orchester erhob, überzeugten. Natürlich präsentierter Witz und Freude am Gesang sprudelten mit jedem Ton nur so hervor. Daß man am Ende dann tatsächlich „Cessa di più resistere“ zu hören bekam, war die Kirsche auf der Torte.

Mit der Besetzung von Eugenio LEGGIADRI-GALLANI als Bartolo hat man eine gute Ergänzung zum hauseigenen Ensemble gefunden. Ihm gelang mit am besten, seiner Figur die ursprüngliche Attitüde zu erhalten. Dazu sang einer mit einer großartig geführten Stimme, die das Haus mühelos füllte und poltern konnte, ohne polterig zu klingen. Taras KONOSHCHENKO, für die großen Baßpartien geboren, sang einen grandiosen Don Basilio. Auch er zeigte die Figur dicht am Rossini-Original. Es war wirklich ein Vergnügen, ihm bei seiner Gestaltung des schrulligen Intriganten zuzuhören und -zusehen.

Tomasz MYSLIWIEC durfte sich als Fiorello und später als Offizier präsentieren und machte seine Sache gut. Andrea STADEL hatte ihren Moment natürlich bei der Arie im 2. Akt. Beeindruckend war, wie es ihr gelang, hier bereits den Bogen zur „Nozze“ schlagen. Marzelline, die ihr Herz längst an Bartolo verloren hat und seine Launen, die Spleens tapfer erträgt – all das mit der kurzen Arie transportiert. Bitte mehr davon.

Auch die Herren des CHORES und EXTRACHORES (Leitung: Jan-Michael KRÜGER) hatten einen wirklich guten Abend.

Das Dirigat von Alexander STEINITZ hinterließ einen zwiespältigen Eindruck. Nach einer gelungenen Ouvertüre, die durchaus großes Kino war, lief es im ersten Teil dann nicht ganz so gut. Einiges, gerade auch in der Kommunikation mit der Bühne, wirkte recht ungeprobt. Nach der Pause lief es dann besser und man hörte das PHILHARMONISCHE ORCHESTER auf dem aktuell gewohnten hohen Standard.

Inszenierung, Comicfilm und Ausstattung von Pier Francesco MAESTRINI und Joshua HELD hielten, was die online verfügbaren Fotos „versprachen“. Die Bühne schien allerdings recht häufig leer. Der Comicfilm (Video: Yannick WERNICKE) füllte die Lücken nicht wirklich. Weshalb besagter Vorspann statt der Abend-, die Premierenbesetzung nannte, war nicht nachvollziehbar. Leider fehlte außerdem, zumindest an diesem Abend, das eine große Plus der letztjährigen „Viaggio“-Inszenierung. Die Synchronität zwischen Musik, Menschen und Comicfilm ging streckenweise komplett flöten. Und war es Absicht, daß während der Gewittermusik Bühne wie Leinwand komplett leer blieben und nur ein paar Blitze zuckten? Die Kostüme (Umsetzung: Luca DALL’ALPI) erwiesen sich als Mischung aus Traditionellem und Einfallslosem.

Alle Figuren werden, so kündigt es ein Filmvorspann an, vom Komponisten höchstselbst gespielt. Gioacchino Rossini also in allen Rollen, weshalb jede Figur Figurprobleme hat. Alle sind kugelrund mit dicken Bäuchen, wahlweise dicken Hintern. Jeder hastet kurzatmig über die Bühne. Sind das jetzt drei Stunden öffentlich gefördertes fat shaming oder ist es einfach nur Nonsense? Ich kann einfach nicht darüber lachen. Sorry. AHS