„Boris Godunow“ – 3. März 2019

Boris Godunow stand für uns immer ganz weit oben auf der Liste der Rollen, die wir gern einmal von Taras KONOSHCHENKO hören wollten. Unsere Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Stimmlich souverän und mit viel Liebe zur musikalischen Rollengestaltung meisterte er nicht allein die Prestige-Partie, sondern auch die Herausforderung der sperrigen, ungewohnten Sprachversion. Jeder Zoll ein Machtmensch, auch wenn die Fassade langsam bröckelt, gelang es dem Baß für den Zuschauer einen Weg zur Figur zu ebnen.

Die absolute Überraschung des Abends war Denis VELEV als Pimen, hier ein politisch umtriebiger, Guerilla-Mönch, der sich mit seinem Gesang und der beeindruckenden Bühnenpräsenz als echter Gegenpart zur Titelfigur erwies. Ein großer Schritt für den Sänger. Man darf gespannt sein, was hier als Nächstes kommt.

Alle anderen Sänger blieben hinter diesen Leistungen weit zurück. Weder Wioletta HEBROWSKA (Feodor), Julia GROTE (Amme/Schenkwirtin), Steffen KUBACH (Andrej Schtschelkalow), noch Hojong SONG (Missail/Gottesnarr), Minhong AN (Warlaam), Tim STOLTE (Volkspolizist/Dorfpolizist), Mario KLEIN (Mitjucha) oder Tomasz MYSLIWIEC (Leibbojar) konnten an diesem Abend ihre gewohnten Leistungen abrufen. Tobias HÄCHLER lag als Grigori vielleicht noch am dichtesten an einen gutem Rollenporträt, während Alexander James EDWARDS als Fürst Schuiski den gefährlichen und intriganten Machtpolitiker schlicht schuldig blieb.

Auch CHOR und EXTRACHOR (Leitung: Jan-Michael KRÜGER) enttäuschten. Bis auf ein paar wirklich kleine magische Momente, wo Können, Musikgespür und Stimmmacht aufblitzten, gab es nur Getümmel auf der Bühne.

Was an Magie auf der Bühne fehlte, zauberten zum Glück Manfred Hermann LEHNER und das PHILHARMONISCHE ORCHESTER aus dem Graben. Hier hörte man die Geschichte und Gefühle, die man auf der Bühne nicht sah. Eine ausgesprochen gut muszierte Mussorgsky-Interpretation des inzwischen in einer eigenen Klasse spielenden Klangkörpers.

Am Lübecker Theater legt man, wenn es um Opernregie geht, immer mehr Wert auf Namen. Da gibt es regelmäßig mehr als einmal den Hinweis, daß jemand mit Preis so und so oder von Zeitschrift XYZ geehrt wurde. Auch dieses Mal geht dieses Kalkül anscheinend nicht auf. Sogar weniger als sonst scheint es, denn neben den üblichen Facebook-Aktivitäten und den „wir erklären die Produktion“-Veranstaltungen bekam man auch Werbung per Post nach Hause. Wirklich voll war es nicht an diesem Sonntag. Schade für das Stück, zumal viel Tamtam um den Punkt gemacht wurde, daß die Oper in Mussorgskys Urfassung gegeben wird.

Mussorgskys Urfassung – in einer deutschen Übersetzung, durch die es mehrfach den Abend über zwischen Musik und Sprache heftig hakt, und einer Produktion, die das Stück nicht stützt, sondern eher unverständlich macht. Selbst wenn man Oper und Geschichte kennt, hatte man zeitweise Schwierigkeiten, Personen und Szenen sofort zu identifizieren.

Alles wirkte wie wahllos aneinandergereihte Szenen aus beliebigen Geschichten. Und natürlich ist es eine Möglichkeit, daß Boris am Ende seine Sachen packt und einfach in den sonnigen Ruhestand verschwindet, aber wenn den kompletten Abend nichts zu dieser Entwicklung getan, nichts aufgebaut wird, verpufft dieser Effekt in der Belanglosigkeit, die diesem Abend ohnehin anhaftete, und schlimmer noch, nimmt es der letzten Szene ihre emotionale Kraft und Stärke. Was von dieser Produktion bleibt, sind – neben zwei großartigen Rolleninterpretationen und einem weiteren orchestralen Highlight in Lübeck – kostenloser Unterricht im Puppenspiel und eine Hüpfburg für die Sänger. AHS