„Eugen Onegin“ – 2. September 2023

Diese Premiere kann man als einhelligen Erfolg ansehen sowohl szenisch als auch musikalisch.

Julia BURBACH hat einen sehr eigenen, aber ausgesprochen intelligenten Weg gefunden, Tschaikowskys Lyrische Szenen auf die Bühne zu bringen. Man mag im ersten Moment denken, die Kostüme, gerade des Chors, von Bettina JOHN, könnten zu bunt und absurd sein, das Bühnenbild von Agnes HASUN durch die ständig in Bewegung befindliche Drehbühne zu hektisch, aber tatsächlich fügt sich das zusammen. Tatjana schreibt, sie erschafft sich eigene Welten, in denen sie die handelnden Figuren dirigieren kann. Eigentlich ist der Brief an Onegin schon längst fertig, lange, bevor er überhaupt in ihr Leben tritt. Onegin hingegen ist in seiner Jugend offenbar ähnlich gestrickt gewesen, hat aber gelernt, das zu verstecken, um besser in die Gesellschaft zu passen, und erkennt dieses frühere Ich jetzt in Tatjana wieder, kann aber nicht emotional zu diesem Punkt zurück. Als er es schließlich könnte, ist Tatjana längst zur Realistin geworden.

Tatjana (Evmorfia METAXAKI) ist hier noch mehr Dreh- und Angelpunkt des Stückes. Die Sängerin geht vollkommen in ihrer Rolle und gerade in dieser speziellen Interpretation auf, vollkommen sicher, was eigentlich passieren sollte und verunsichert, wenn ihre Phantasien in der Realität nicht funktionieren. Die Stimme ist jederzeit sicher geführt, wechselt von zerbrechlichen Momenten zu großen Ausbrüchen, ohne daß irgendetwas davon erzwungen werden muß. Alles klingt und wirkt natürlich.

Jacob SCHARFMAN als Onegin ist darstellerisch bis zum Finale ungewohnt zurückgenommen, was aber hier zum Konzept paßt. Ebenso wie Evmorfia Metaxaki steht ihm die Gabe zur Verfügung, einfach präsent zu sein, auch wenn gar nichts anderes als Stehen verlangt ist. Stimmlich beweist er nach dem Heerrufer, Paolo Albiani und dem Figaro-Conte einmal mehr seine Wandlungsfähigkeit, weiß, gerade auch bei der Briefrückgabe, interessante Akzente zu setzen. Die Stimme ist groß, der Sänger weiß aber, daß manchmal die leisen Töne wichtiger sind. Als einziges Manko muß man hier anmerken, daß das Walzertanzen noch stark verbesserungswürdig erscheint.

Man könnte vielleicht einwenden, daß die Regisseurin sich zu sehr auf Tatjana und Onegin konzentriert hat, so daß die anderen Figuren machmal etwas blaß wirken.

Das beeinflußt unter anderem Gustavo MORDENTE EDA als Lenski, der zwar sehr ordentlich singt, aber den schwärmerischen Dichter vermissen läßt, wenn er eher wie ein gutmütiger Teddybär über die Bühne tapst. Laila Salome FISCHER singt eine gute Olga, aber auch bei ihr fehlt es an Persönlichkeit.

Davon verströmt Julia GROTE als Larina mehr als genug, wenn sie sich mit dem Älterwerden nicht abfinden mag und darüber zu einer leicht verlebten Lebedame geworden ist. Edna PROCHNIK als Filipjewna ist hingegen optisch zu jung für die Partie, singen tut sie sie jedoch prächtig.

Gremin Rúni BRATTABERG liefert seine Arie ganz anständig ab, aber ist nicht prägend für seine einzige Szene. Changjun LEE macht hingegen alles aus dem Saretzki, ebenso Yong-Ho CHOI als Hauptmann. Noah SCHAUL darf, das gehört zum Konzept und geht auch szenisch auf, Triquets Couplet extrem verlangsamt singen und wird dieser Aufgabe voll gerecht. Auf seinen Wechsel zum Lenski darf man gespannt sein.

Der OPERN- UND EXTRACHOR DES THEATER LÜBECK erfüllt seine Aufgaben, zu denen auch viel Choreographie (Klevis ELMAZAJ) gehört, tadellos. Man hätte noch gerne gewußt, wer der grandiose Vorsänger im ersten Bild gewesen ist; das Programmheft nennt ihn leider nicht, erwähnt aber den Namen des präsenten Guillot (Jens TÜTTENBERG).

Das PHILHARMONISCHE ORCHESTER DER HANSESTADT LÜBECK schwelgt geradezu in Tschaikowskys Klängen. Stefan VLADAR scheint tatsächlich eine besondere Affinität zu dieser Musik zu haben, denn er ist weder, wie sonst häufig, zu laut, noch schleppt er. Hier läßt er die Musik einfach fließen, setzt die richtigen Akzente und gibt den Sängern ausreichende Sicherheit, um sich vollständig auf ihre Aufgaben konzentrieren zu können. MK