„Madame Butterfly“ – 1. Juni 2023

„In Lübeck gibt es eine Oper?“, fragte einer meiner Kollegen als ich von meinen Plänen für diesen Abend erzählte. Ja, gibt es, und dort bringen sie sogar eine veritable Puccini-Vorstellung eben mal so im Repertoire auf die Bühne.

Zu verdanken war das u.a. der Sängerin der Titelrolle. Susanne SERFLING ist sicherlich nicht die zartstimmigste oder ätherischste Cio-Cio-San, die ich je auf einer Bühne gesehen habe, aber sie brachte die Entwicklung der Figur von einer japanischen Scarlett O’Hara zu der zu allem entschlossenen jungen Frau sehr authentisch auf die Bühne, wobei sich das ausgeprägte Teenagergehabe zu Beginn ebenso gut in der Stimme wiederfand wie die dramatischen Ausbrüche, die die Wandlung der Figur ab Ende des zweiten Aktes kraftvoll und eindringlich begleiteten. Bei ihr funktioniert das Regiekonzept so gut, daß, als sie dann am Ende schließlich einfach die Szene verließ, es beeindruckender war als es jeder Selbstmord auf der Bühne hätte sein können.

Laila Salome FISCHER war eine nicht minder interessante Suzuki, deren Charakter stets zurückhaltend wirkte, bis sich das Temperament Bahn brach. Der beinahe mütterliche Beschützerinstinkt der Figur fand in der Darstellung eine gute Entsprechung, beeindruckender waren jedoch die Vielfalt der Klangfarben sowie die Kraft, mit der die Rolle gestaltet wurden.

Bei Yoonki BAEK (Pinkerton) lag der Fokus diesmal erfreulicherweise mehr auf der Gestaltung der Partie als auf dem Versuch, reihenweise Töne zu stemmen. Er klang daher wesentlich besser als in der aktuellen „Simon Boccanegra“-Produktion. Von der Regie eher als trinkfest denn als romantisch angelegt, blieb der schwärmerische Überschwang im ersten Akt auf der Strecke. Trotzdem war die Figur an sich nicht uninteressant.

Sharpless‘ fast schon manische Bemühungen, bloß nichts falsch zu machen, der fremden Kultur Respekt zu erweisen und Pinkerton von Fehltritten abzuhalten, zeugen von einer feinen Charakterstudie. Der Konsul hat es nicht einfach. Gerard QUINN füllte dies überzeugend mit Leben. Es war interessant zu sehen, wie die prekäre Angelegenheit schlußendlich auch die (beinahe) grundsolide Stimme der Vernunft überforderte.

So jung an Jahren Noah SCHAUL wohl noch ist, als Sänger und Darsteller ist er bereits brillant. Sein Goro war nun ein Quell an Spielfreude, darstellerischer wie stimmlicher Präsenz und so präzisem wie nuancenreichem Gesang.

Owen METSILENGs Stimme hat eine für einen Tenor eher ungewöhnliche Stimmfärbung. Sein Yamadori brillierte im Zusammenspiel mit den Kollegen ebenso perfekt wie die Kate Pinkerton von Iris MEYER.

In den weiteren Rollen hörte man Mark MCCONNELL (Yakusidé), Yong-Ho CHOI (kaiserlicher Kommissar), Tomasz MYŚLIWIEC (Standesbeamter), Rúni BRATTABERG (Onkel Bonze), Andrea ALEXANDER (Mutter), Simone TSCHÖKE (Tante) und Seung-Yeon Stella RYU (Cousine).

Der CHOR (Leitung: Jan-Michael KRÜGER) wirkte auf der Bühne etwas ausgedünnt. Das, was zu hören war, war allerdings gut ausbalanciert und klangschön.

Stefan VLADAR gab dem ORCHESTER diesmal tatsächlich Raum für die zarten Nuancen. Es war nur manchmal zu laut, über weite Strecken hörte man aber eine versierte Puccini-Interpretation, die dem Geschehen auf der Bühne den perfekten Klangteppich bot.

Regisseur Ezio TOFFOLUTTI legt in Sachen Ausstattung den Focus auf die Kostüme, der Farbenreichtum nicht nur der Kimonos. Dies ist durchweg gelungen (allein Sharpless‘ erstes Outfit wirkte, als wäre es aus der „Wildschütz“-Produktion geborgt), man hätte sich allerdings ähnliches Bemühen beim Bühnenbild wünscht. Dieses erinnerte nämlich eher an das Rudiment eines zweckmäßigen Zelts im Wüstensand.

Der Regisseur hat den Schluß umgeschrieben. Die Idee dahinter ist gut und in der aktuellen Besetzung funktionierte dies auch wesentlich besser als in der Premierenserie. Insgesamt gesehen, ist diese Produktion interessanter und aussagekräftiger als beispielsweise die „Lucia“ in Hamburg. Ezio Toffolutti hat einen guten Weg gefunden, sein Anliegen in den Kontext der Oper zu verpacken. Man sieht Puccinis „Madame Butterfly“ – eben mit einem Twist, über den man nachdenken kann. AHS