„Fürst Igor“ – 27. April 2014

Jenseits von „Jewgeni Onegin“ findet sich große russische Oper nur allzu selten auf deutschen Spielplänen. Schade, denn je mehr man aus diesem Musikfach hört, umso mehr steigt das Suchtpotential.

An der Hamburgischen Staatsoper hat man für Borodins Meisterwerk ein eigentlich durch die Bank ausgezeichnetes Ensemble (mit einigen, aber nicht allein aus Muttersprachlern) gefunden, daß nicht nur stimmlich, sondern gerade auch in der Sprachbehandlung überzeugt.

In der Titelpartie zeichnete Andrzej DOBBER das Porträt eines pflichtbewußten Fürsten, der wohl gerade aus dieser Gewissenhaftigkeit gegen die Polowetzer zieht. Die Ruhe, die er mit seiner Interpretation ausstrahlt, macht die Figur zum geforderten Dreh- und Angelpunkt des Stücks und spiegelte sich auch in der musikalischen Interpretation. Dobbers Stimme wie für dieses Repertoire wie gemacht. Igors Arie sang der Bariton nicht als das rein stimmliche Bravourstück, das ihm vermutlich den meisten Applaus bringen würde, sondern nutzte es, um Igors Gefühlslage, seiner Verzweiflung plastisch Ausdruck zu verleihen. Viel Applaus erhielt er dafür trotzdem – und zu recht.

Dem Fürsten zur Seite sang Veronika DZHIOEVA mit so unglaublich schöner, farben- wie charaktervoller Stimme eine Jaroslawna, an der man sich kaum satthören konnte. Jede Sekunde ist sie präsent und trotz all der Würde der Rolle voller Temperament.

Tigran MARTIROSSIAN ist als Fürst Galitzky schlichtweg grandios, und so sehr man seinen Kontschak aus der letzten Serie vermißte, wertete diese Interpretation Wladimir Jaroslawitschs die Produktion doch ungeheuer auf. Hier sah man die Verschlagenheit der Figur in jeder Geste, jedem Blick, ohne daß es auch für eine Sekunde aufdringlich gewirkt hätte. Hinzu kommt die schöngefärbte Baßstimme mit der nötigen Flexibilität für die Partie.

Dovlet NURGELDIYEV hat als Wladimir viel Gelegenheit seine makellose, schöntimbrierte Stimme zu präsentieren, doch natürlich begnügte sich der Tenor nicht allein damit. Bühnenpräsenz läßt sich eben nicht abstellen, und so sah man einen schwärmerischen jungen Mann, der nicht nur Kontschakowna, sondern mindestens neunzig Prozent des Publikums im Sturm eroberte. Ihm zur Seite war Cristina DAMIAN eine ebenbürtige Partnerin. Sie sang ihre Partie mit großer Leichtigkeit, die ihrer Stimme trotz des mittlerweile reiferen Timbres immer noch innewohnt.

Levente PÁLL wertete das Duo Skula und Eroschka (Markus PETSCH) unglaublich auf. Er setzte nicht nur stimmlich, sondern insbesondere auch durch die exzellente Sprachbehandlung wichtige Akzente. Gut, daß Markus Petsch sich davon mitziehen ließ.

Sergiu SAPLACAN hat einen riesigen Schritt sowohl in der stimmlichen Entwicklung, als auch im Ausbau seiner darstellerischen Fähigkeiten gemacht. Im Vergleich zur ersten Serie wurde Owlur so zu einem essentiellen Teil der Geschichte, und man verstand, weshalb Igor sich schlußendlich von ihm zur Flucht überreden läßt.

Paata BURCHULADZE besitzt zumindest Präsenz. Stimmlich ermüdete er rasch und ließ daher viel von Kontschaks Energie vermissen. Solen MAINGUENÉ ergänzte als Polowetzer Mädchen.

Ein Fan vom CHOR unter der Leitung von Christian GÜNTHER zu sein, war hier nicht schwierig, stand das Ensemble den Leistungen der Solisten in nichts nach.

Christian ARMING hatte diesen Abend gut im Griff. Die PHILHARMONIKER HAMBURG ergänzten die musikalische Darbietung auf der Bühne mit einigen ausgesprochen schönen Momenten aus dem Graben.

Was sich Regisseur David POUNTEY bei der Inszenierung gedacht hat, ist in keiner Weise nachzuvollziehen. Ja, Borodins Oper spielt in Russland. Aber muß die Produktion deshalb partout in die Sowjetzeit versetzt werden? Und muß man sich deshalb tatsächlich jedes noch so blöden Klischees zu diesem Thema bedienen? Alkohol, Autokraten, Pioniere werden gemixt mit nicht weniger überspannten Terroristenklischees für die Polowetzer. Man kann viel auf einer Opernbühne machen, aber dann sollte es handwerklich gut und bitte keine lose Ansammlung sinnbefreiter Einfälle sein.

Apropos sinnbefreit. Der Ruf des Hamburger Balletts ist weithin ein ausgezeichneter, und die Leistung der jungen Tänzer der BALLETTSCHULE war ohne jeden Zweifel perfekt. Leider konnten aber auch sie der völlig überinterpretierten Choreografie Renato ZANELLAs keinen Sinn einhauchen. Hier zeigte sich denn auch am deutlichsten das größte Manko der Produktion. Statt mit der Musik zu arbeiten, wurde versucht, dem Stück eine persönliche Sichtweise aufzudrücken, die partout nicht passen mag.

Besser funktionierte es bei den Kostümen (Marie-Jeanne LECCA), die sowohl zur jeweiligen Figur, als auch zum dazugehörigen Sänger paßten. Das flexible Bühnenbild (Robert Innes HOPKINS) war an diesem Abend beinahe ausnahmslos unfallfrei umbaubar, und insbesondere die gut gemachte Lichtregie von Jürgen HOFFMANN sorgte für stimmungsvolle Momente.

In der Beziehung Musik und Szene gewinnt glücklicherweise erstere, denn es gibt so viele einfach großartige musikalische Momente in diesem Werk. Auch Borodin ist eben nicht totzukriegen, und so steht zu hoffen, daß „Fürst Igor“ auch weiterhin auf dem Hamburger Spielplan zu finden sein wird.
AHS