„Simon Boccanegra“ – 24. Oktober 2017

Ich war in der Premierenserie dieser Produktion 2006. Ich erinnere von damals gar nichts. Dies sagt eigentlich alles über die Regie von Claus GUTH.

Personenregie findet nicht statt über lustiges Rampensingen hinaus. Teilweise rennen die Sänger völlig beziehungslos aneinander vorbei. Es hilft auch nicht wirklich, daß ständig die tote Maria durch die Gegend geistert, oder Simon durch zwei Doubles seine eigene Geschichte im Sterben noch einmal erleben muß. Dies führt dazu, daß Simon nur teilweise mit seinen Partnern spielen darf, weil dieser Teil eben von den Doubles übernommen wird. Stimmung kommt so nicht auf. Und es wäre sicherlich weniger albern gewesen, wenn die Doubles nicht fast einen Kopf kleiner gewesen wären als Simon selbst. Hinzu kommt der eine oder andere handwerkliche Fehler: Warum zum Beispiel Fiesco/Andrea am Anfang des zweiten Akts eigentlich im Gefängnis ist, erschließt sich niemandem, der nicht das Libretto gelesen hat (die Übertitel erzählen einem dies nämlich auch nicht), denn eigentlich hat er gar nichts getan, taucht zu seinem Einsatz diskret aus einer Tür auf, als der gesamte Aufstand schon vorbei ist und wird auch nicht festgenommen.

Das Bühnenbild von Christian SCHMIDT hat hinten in den ersten zwei Bildern sowie im letzten Bild eine zusätzliche Spielfläche, auf der teilweise die Handlung geschieht. Beherrscht wird die Bühne durch einen durch die Decke fallenden Meteoriten, der im letzten Bild am Boden liegt, und um den alle herumlaufen. Warum weiß niemand so genau, zumal er in einem anderen Raum liegt, als er im zweiten Akt von der Decke hing. Die Kostüme (ebenfalls Christian Schmidt) sind mit einer Ausnahme in Ordnung; allerdings fragt man sich schon, warum niemand Fiesco erkennt, wenn er nach dem Prolog weder gealtert ist, noch die Kleidung gewechselt hat.

In der Titelrolle bot Claudio SGURA eine absolute Glanzleistung. Die Stimme ist groß, angenehm timbriert und im Forte und im Piano gleichsam qualitätsvoll. Darauf ruht der Sänger sich jedoch nicht aus, er singt nuanciert und bietet kluge Phrasierungen. Er läßt sich jetzt auch das Spielen nicht nehmen und läßt immer wieder Simons Vergangenheit als Korsar sehen. Sehr schön ist, wie er im Prolog und am Ende, wenn Simons sich nach dem Meer zurücksehnt, breitbeinig dasteht, als würde er sich auf einem Schiff befinden.

Ihm ebenbürtig war Alexander VINOGRADOV als Fiesco, der mit großer, aber immer kontrolliert geführte Stimme die Partie durchmißt. Er schafft es ohne große Gesten, allein mit der Stimme und der Art, wie er dasteht, die Unversöhnlichkeit in Person zu sein, was den Moment, als Simon ihm enthüllt, wer und wo seine Enkelin ist, und die Maske bröckelt, um so ergreifender macht. Beide Sänger gaben in dieser Serie ihre Rollendebüts und wurden enthusiastisch vom Publikum gefeiert.

Alexey BOGDANCHIKOV singt einen sehr guten Paolo, der besonders in seiner Soloszene im zweiten Akt sowie in der Szene mit Fiesco Anfang des dritten Akts mit erneut gewachsener Stimme punkten kann. Was man ihm wünschen würde, wäre eine Produktion, wo ihm darstellerisch noch ein bißchen mehr Bösartigkeit gestattet und ein besseres Kostüm gewährt wird (die Kombination aus grüner Jacke und blauer Hose ist wirklich scheußlich!). Eine absolute Luxusbesetzung ist Alin ANCA als Pietro, der ohne weiteres das hohe Niveau der tiefen Stimmen hält und darstellerisch sehr präsent ist.

Leider wurde dieses Niveau nach dem Prolog nicht gehalten. Guanqun YU sang als Amelia lauter richtige Töne, orientierte sich hörbar an der Interpretation von Mirella Freni in der Abbado-Aufnahme, konnte aber nicht wirklich berühren. Die Figur blieb statisch und anonym. Noch weniger konnte Massimo GIORDANO als Adorno überzeugen. Abgesehen von mehreren angestrengt klingenden Tönen in der oberen Lage und einer etwas kratzigen Stelle in der Mitte setzte er viel zu sehr auf überzogene Schluchzer. Die Figur stellt sich im Libretto ziemlich dumm an, unsympathisch war sie mir bis zu dieser Serie noch nicht.

Sascha Emanuel KRAMER als Capitano und Soomin LEE als Amelias Dienerin lassen bei ihren kurzen Auftritten aufhorchen. Der CHOR unter Eberhard FRIEDRICH macht seine Sache gut, scheint aber gelegenheitlich mit der Platzierung im oberen oder hinteren Teil der Bühne zu kämpfen.

Am Pult des PHILHARMONISCHEN STAATSORCHESTERs, das seit langem in einer italienischen Oper wieder fehlerlos und mit hörbarer Begeisterung spielt, stand Christoph GEDSCHOLD, der Großes leistete. Es gab den gesamten Abend keinen Moment, an dem die Spannung nachließ, die Morgenstimmung zu Beginn des ersten Akts war wunderschön herausgearbeitet und fand so wenigtens im Orchester statt. Einige Nuancen ließen besonders aufmerksam werden, da ich sie so noch nie wirklich bewußt gehört habe. MK

P.S.: Das offizielle Photo von Claudio Sgura wird ihm ausgesprochen wenig gerecht. Kleiner Tip: im Hamburger Ensemble gibt es einen Fachkollegen der ganz exzellente Künstlerphotos macht…