Überraschenderweise hat die Hamburgische Staatsoper jetzt doch irgendetwas auf die Beine gestellt. Nach einem halbstündigen Bericht mit Ausschnitten aus der nicht gespielten und auch nicht gestreamten „Fledermaus“ und dem zugegebenermaßen sehr netten „Bühne frei“-Konzert gab es jetzt Massenets „Manon“, abrufbar im Stream zur geplanten Premierenzeit am 24. Januar 2021 sowie dann für achtundvierzig Stunden vom 27. Januar 2021 18 Uhr bis 29. Januar 2021 18 Uhr, vielleicht nicht ganz so die ideale Zeiten, wenn man selbst damit beschäftig ist, im Lockdown sein eigenes Berufsleben organisiert zu bekommen. Es gab auch keine Bezahlschranke, wobei man sich ja schon überlegen könnte, ob dies eigentlich angemessen ist.
Andererseits stellt sich natürlich die Frage, ob man für diese Produktion wirklich hätte Geld ausgeben wollen. Die Inszenierung von David BÖSCH in den Bühnenbildern von Patrick BANNWALD und den Kostümen von Falko HEROLD ist an Tristesse kaum noch zu überbieten. Das Gasthaus im ersten Akt ist eine so üble Kaschemme, daß das Etablissement von Thènardier aus „Les Miserables“ dagegen wie ein Sterne-Restaurant wirkt. Wieso Lescaut auch nur eine Sekunde denkt, daß man dort ein junges Mädchen alleine lassen könnte, bleibt eines der ungelösten Geheimnisse der Inszenierung. Schlimmer könnte das Gasthaus, wo er spielen geht, doch auch nicht sein.
Manon besitzt offenbar eine weiße Katze, die man auf Zwischenvorhängen animiert sehen kann. Diese Katze spiegelt auch ein wenig das Schicksal Manons wider, inklusive ihres Endes – daß man am Ende allerdings eher die Katze und nicht Manon betrauert, zeigt die Problematik der Produktion. Manon ist im ersten Bild mit der Katze im Tragekorb auf dem Weg ins Kloster. Ist bestimmt ein interessanter Orden, bei dem man sein Haustier mitbringen darf. Andererseits scheint die Katze nach dem zweiten Akt bei DesGrieux zu verbleiben und begleitet ihn ins Kloster. Ob man dort wohl nur mit Katze aufgenommen wird?
Auf jeden Fall ist die Chemie zwischen den beiden Hauptfiguren so gut wie gar nicht vorhanden, die Personenregie schwach. In Saint-Sulpice könnte sich auch ein Sorgerechtsstreit um die Katze abspielen, anstatt eine Verführung und Neubeginn einer Beziehung.
Generell kann man sagen, daß die Einhaltung der coronabedingten Abstände hier auffällt (es hat auch schon Produktionen gegeben, wo man dies tatsächlich vergessen konnte), weil die Personenregie nicht in der Lage zu sein scheint, die Handlung über diese zwangsläufigen Trennungen der Protagonisten zu tragen.
Was eigentlich im vorletzten Bild genau passiert, bleibt unklar, zu konfus ist hier die Personenregie. Wer da eigentlich gegen wen beim Russisch-Roulette spielt, und wer wen am Ende festnimmt oder auch nicht, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen, denn hier scheitert die Regie grandios daran, irgendeine Geschichte stringent zu erzählen. Im letzten Bild, das irgendetwas zwischen Industriebrache und Hinterhöfen eines Vergnügungsviertels darzustellen scheint, versteht man auch nicht wirklich, aus welchem Grund Manon und DesGrieux nicht einfach weggehen. Es ist nicht ersichtlich, was jetzt genau Manon in den Tod treibt.
Leider bot auch die Sängerriege hier nicht wirklich Trost. Elsa DREISIG in der Titelrolle war jetzt kein Ausfall, sie machte nichts falsch, aber so wirklich zünden vermochten ihre Koloraturen nicht, sie schaffte es auch nicht, mich zu berühren. Wieviel davon Schuld der Regie war, vermag ich nicht zu sagen. Der Bridget-Jones-Gedächtnis-Schlapperlook, den man ihr im ersten Akt verpaßt hatte, half jetzt aber auch nicht bei der überzeugenden Darstellung eines knapp sechzehnjährigen Mädchens, das bei allen Männern Aufmerksamkeit weckt. Das besserte sich dann immerhin später.
Ioan HOTEA war in den oberen Lagen häufig angestrengt, auch fehlte der Stimme ein Schwelgen. Gerade auch durch die größere Nähe durch die Kamera teilweise grotesk war seine Mimik; zu Beginn war ich ernsthaft im Zweifel, ob es sich um eine Parodie auf einen bis zum Verlust seines Verstandes verliebten jungen Mannes handeln sollte, aber dem war nicht so, denn es änderte sich im Verlauf des Abends nicht.
Lescaut driftet im Laufe der Handlung offenbar immer weiter in die Drogensucht. Trinkt und kifft er zu Beginn nur, spritzt er in den letzten zwei Bilder Heroin. Warum? Das blieb unklar. Björn BÜRGER spielt das überzeugend, gesanglich war es dies jedoch nicht immer, zu häufig wirkte die Gesangslinie plötzlich unterbrochen.
DesGrieuxs Vater war mit Dimitry IVASHCHENKO besetzt. Auch er spielte das recht überzeugend und war stimmlich weniger überzeugend. Weswegen man hierfür, gerade in der aktuellen Situation mit Einnahmenverlusten und Reisebeschränkungen, allerdings einen Gast bemühen mußte, ist fragwürdig. Guillot-Morfontaine Daniel KLUGE spielte angemessen schmierig und setzte dies auch stimmlich um.
Die schlüssigste Figur des Abends war der Brétigny von Alexey BOGDANCHIKOV, der es schaffte, dem Charakter die Würde zu belassen, und nicht zu einer billigen Karikatur eines Sugar Daddys abzugleiten. Stimmlich war er einwandfrei, ohne jede Einschränkung die beste Leistung des Abends.
Auf der positiven Seite zu vermerken waren dazu noch Poussette (Elbenita KAJTAZI), Rosette (Ida ALDRIAN) und Javotte (Narea SON) sowie die beiden Gardisten (Hubert KOWALCZYK und Collin André SCHÖNING), während Martin SUMMER als Wirt zwar gut singt, aber dank Regie und Outfit als Figur einfach nur widerlich wirkte.
Das ORCHESTER unter der Leitung von Sébastien ROULAND begleitete vollkommen unauffällig; es blieb kein besonderer Akzent in Erinnerung. Der in den Logen aufgrund der Abstandsregelungen platzierte CHOR (Leitung Eberhard FRIEDRICH) fiel klanglich völlig auseinander, war so unglaublich inhomogen, daß entweder ein technisches oder sonstiges Koordinierungsproblem vorgelegen haben muß. MK