Früher war weniger Lametta.
Daß das Publikum es geschafft hat, am Ende der Premiere zu buhen, ist für uns überraschend. Uns machte die neue „Don Giovanni“-Produktion in Hamburg nur unglaublich müde – etwas mehr als drei Stunden größtenteils gefüllt mit gepflegter Langeweile.
Es wurde brav musiziert und nett gesungen, doch bereits in der Ouvertüre vermißte man beim diesmal immerhin fehlerfrei spielenden ORCHESTER unter der Leitung von Adam FISCHER Spannung und Dynamik. Das den Commendatore am Ende auf der Bühne begleitende Blech der drei Posaunen klang indes wirklich beeindruckend gut.
Don Giovanni (Andrè SCHUEN) wirkte wie ein Leporello, der endlich seinen Studienabschluß in Fraueneroberung in der Tasche hat, dem aber praktische Erfahrung und Talent dazu abgehen. Auch stimmlich zündete die Figur kaum. Die Champagnerarie prickelte nicht, und das Ständchen punktete vor allem durch den exzellenten Lautenspieler.
Kyle KETELSEN konnte als Leporello einige Lacher einheimsen, aber irgendwie wurden wir auch mit seiner Interpretation nicht warm. Man wußte einfach nicht, wo diese Figur hin will. Als comic relief war er zu wenig komisch, als Giovanni-Variante aus niedriger Herkunft zu wenig charismatisch. Die Kleidertauschszene geriet zu einer Szene, in der zwei Männer ihre Kleider tauschen. Punkt. Mehr passierte nicht.
Die Damen klangen und wirkten austauschbar. Weder bei Donna Anna (Julia KLEITER), noch bei Donna Elvira (Federica LOMBARDI) oder bei Zerlina (Anna Lucia RICHTER) mochte man wirklich Anteil an ihrem Schicksal nehmen. Elviras eigentlich so fulminanter erster Auftritt und „Mi tradì“ verpufften hier ebenso wie Donna Annas „Crudele?… Non mi dir“. Das sind doch Stücke voller auch widerstreitender Emotionen. Man hätte davon irgendetwas gerne gehört. Allen drei Damen war gemein, daß es ihnen an Durchschlagskraft und Aplomb fehlte, was wiederum erklärt, warum die großen Szenen so verpufften. Ihre Stimmen waren sich auch zu ähnlich in ihrem eher mädchenhaften Klang, so daß es keiner Figur gelang, ein eigenes Profil zu entwickeln, zumal sie auch von der Regie sehr allein gelassen wirkten. Das ist insoweit besonders irritierend, wenn der Regisseur sich in einem Fernsehinterview rühmte, „starke Frauen“ auf die Bühne zu stellen.
Alexander ROSLAVETS tat sein Bestes, um als Masetto selbst in Unterwäsche noch eine halbwegs abständige Figur abzugeben. Ihm fehlte augenscheinlich der richtige Gegenpart, um die Figur komplett zu entwickeln.
Ähnlich erging es dem Chor (Leitung: Eberhard FRIEDRICH), der musikalisch fast ebenso unauffällig blieb wie szenisch. Daß man einen Chor auch anders führen könnte, denn ihn irgendwo auf der Bühne abzustellen, scheint in dieser Produktion niemand bedacht zu haben.
Die Inszenierung verzettelt sich im Herumfahren von Kulissen, in Videos, in der Idee einer stummen, nicht selbsterklärenden Figur namens Amor/Tod und in Lametta wie in anderem blendenden Glitter. Der Ball war dann auch gleich eine große Lametta-Party mit Lametta-Röcken für alle und Lametta als Maskierung für Ottavio, Anna und Elvira. Was das Produktionsteam dem Publikum sagen wollte, wir haben nicht die Spur einer Ahnung. Bei den Videos gab es Schnittfehler, die tragbaren Kameras versperrten manchmal die Sicht auf die Sänger, die Handlampen und Giovannis Glitzerkostüm am Schluß blendeten grauenvoll, und die Kulisse versagte schon in der zweiten Vorstellung für einen gefühlt ziemlich langen Moment ihren Dienst. Hinzu kam eine lautstark schnarrende Drehbühne, Farbdosen, die man beim Sprühen nicht nur bis in den vierten Rang hören, sondern auch riechen konnte und das enervierende Herumgehampel der stummen Figur. Wann kommt es endlich wieder aus der Mode, Publikum und Sänger während Arien durch völlig zusammenhanglose Aktionen von stummen Figuren zu irritieren?
Weshalb man trotzdem mindestens einmal in dieser Produktion gewesen sein sollte? Weil Dovlet NURGELDIYEV seiner Interpretation des Don Ottavio sowohl gesanglich, als auch in der Darstellung ein paar wirklich schöne, neue Facetten hinzugefügt hat, und man von ihm in seiner mittlerweile dritten Hamburger „Giovanni“-Produktion tatsächlich beide Arien in geradezu betörender Qualität zu hören bekommt. Und nicht zuletzt, weil der Schlußauftritt von Alexander TSYMBALYUK als Commendatore schlicht der baßgewaltige Hammer ist. Da vergißt man auch innerhalb von vier Tönen, daß die Erscheinung tatsächlich in Nachthemd und Pantoffeln kommt, so respektheischend ist die Stimme. Wir hätten sofort alles bereut, selbst die Dinge, die wir nicht getan haben. Mit diesem Eindruck das Publikum nach Hause zu schicken, war dann auch mal eine gute Entscheidung.
In der jüngeren Vergangenheit gab es in Hamburg durchschnittlich gesehen alle 3,33 Jahre eine neue „Don Giovanni“-Inszenierung. Wir freuen uns jetzt schon auf die Nächste. MK & AHS