„Lucia di Lammermoor“ – 20. Mai 2022

Der Sieg des Hauses Ashton

Die Hamburgische Staatsoper präsentiert ihre Italienischen Opernwochen, das Elbdings versucht ebenfalls mit sogenannten Starbesetzungen zu locken – und dann ist es die Kammeroper im Allee-Theater, die mit ihren im Vergleich dazu eher bescheidenen Möglichkeiten und konzertant DIE italienische Produktion der Spielzeit auf eine Hamburger Bühne bringt.

Zuallererst: Es gab eine Turmszene. Schon allein damit war der Abend der aktuellen Produktion an der Staatsoper überlegen. Das Orchester saß auf der kleinen Bühne, die Sänger waren davor platziert, Lucia kam zur Wahnsinnszene im blutbeschmierten Kleid langsam durch den Zuschauerraum nach vorne (Dramaturgische Einrichtung: Marius ADAM).

Des Weiteren wurde die Oper diesmal in der Originalsprache aufgeführt, weshalb man auf erklärende Zwischentexte zurückgriff. Lutz HOFFMANN moderierte den Abend. Im Vordergrund stand hier eine gewisse Launigkeit, wo man sich ein wenig mehr Respekt vor dem Stück gewünscht hätte.

Man tut Luminita ANDREI als Lucia di Lammermoor sicherlich kein Unrecht, wenn man sie als die unangefochtene Primadonna des Allee-Theaters bezeichnet, wobei sie ohne weiteres auch in größerem Rahmen reüssieren könnte. Sie durchmißt die Koloraturen ohne Probleme und schafft es dabei, daß diese kein Selbstzweck werden; schon zu Beginn ist ihre Lucia ein überspanntes Wesen, der Weg in den Wahnsinn ist von Anfang an vorgezeichnet.

Das Haus Ashton wurde auch von Hongyu CHEN in Vollendung repräsentiert. Die Stimme des Baritons besitzt die notwendige Flexibilität und Italianità. Seine Spielfreude konnten weder der konzertante Rahmen noch der begrenzte Platz bremsen, so daß man zum runden, farbenreichen Klang auch einen sehr lebendigen Enrico zu sehen bekam.

Raimondo wurde von Titus WITT verkörpert, der im Laufe des Abends sich immer mehr steigerte bis zu einer ergreifenden Schilderung, was er im Brautgemach vorgefunden hatte.

Feline KNABE hätte, dicht am Bühnenrand platziert, eigentlich kaum über die Stichwortgeberin hinauskommen brauchen. Sie gestaltete Alisa aber mit so viel Verve, daß die Figur überaus präsent und glaubhaft war.

Tenortechnisch war dieser Abend ein wenig vom Pech verfolgt. Der als Arturo und Normanno engagierte Sänger fiel erkrankt aus. Seine Partien entfielen damit, was insbesondere zum Ende des zweiten Aktes zu ein paar absurden Momenten führte. Und Guillermo VALDÉS hatten wir schon aus Lübeck nicht in allerbester Erinnerung. Sein Edgardo konnte diesen Eindruck nicht wettzumachen.* Symptomatisch war, daß seine Frisur mehr Nuancen aufwies als sein Gesang, letzterer hatte lediglich ein nicht immer schönes Dauerforte aufzuweisen.

Für die orchestrale Begleitung griff man diesmal auf das RUNGHOLT ENSEMBLE zurück, ein Kammermusikorchester mit ca. zwanzig Musikern, die ganz offenbar auch Oper können. Ettore PRANDI leitete den Abend über weite Strecken durchaus forsch.

Eine gute und spannende Opernproduktion braucht keinen Glasharmonika-Chichi und keine überinszenierte Produktion. Ein paar Leute mit Herzblut, eine Besetzung, die für die Musik brennt, und die engagierte Begleitung können ein Werk dem Publikum viel nachhaltiger nahebringen.

Der Abend war wieder einmal den Weg nach Altona wert. Und was macht man, wenn eine Vorstellung so gut gefällt? Man kauft sich in der Pause einfach Karten für die nächste Vorstellung (und vielleicht auch für die danach…). MK & AHS

*Was ist eigentlich aus dem so sympathischen wie vielversprechend klingenden Zixing Zhang geworden, der zu Spielzeitbeginn für diese Partie angekündigt worden war?