Die Hamburgische Staatsoper hat sich lange zurückgehalten, für die opernlose Zeit etwas auf die Beine zu stellen. Sie hat jetzt angefangen, die Archive aus der ersten Intendanz Rolf Liebermann zu öffnen; Neueres jedoch, insbesondere diese Perle ist bislang nicht darunter. Da mußte man dann doch in seinem privaten Archiv kramen (oder auch bekannten Plattformen suchen).
In den Jahren der Intendanz von Ruzicka/Albrecht war der kürzlich verstorbene Harry KUPFER fast eine Art Hausregisseur. Er schuf die noch immer exemplarische „Chowanschtschina“ (leider eingemottet) und eben das „Trittico“ (ebenfalls leider eingemottet). Und zumindest was die „Angelica“ und den „Schicchi“ angeht, hat mich diese Produktion geprägt.
Nicht so sehr der „Tabarro“, der live für mich immer so ein Schwachpunkt in dieser Inszenierung war. Gut, ich bin familiär vorbelastet und wußte schon früh, wie ein modernes Binnenschiff aussieht, so daß ich über die Dimensionen von Micheles Kahn, der immerhin die gesamte Breite der nicht gerade schmalen Hamburger Bühne einnahm (Bühnenbild Hans SCHAVERNOCH) nur mit dem Kopf schütteln konnte. Auf Konserve geht es, da man die Bühne eher selten insgesamt sieht.
Franz GRUNDHEBER war gerade im italienischen Fach nie so meins, konnte mich eigentlich zu keinem Punkt wirklich berühren, als Michele stört mich dies allerdings weniger. Barbara DANIELS‘ Giorgetta ist als ein solcher Ausbund von unterdrückter Lebenslust, daß selbst kleine Schärfen überhaupt nichts ins Gewicht fallen. Richard MARGISON (Luigi) war von den unter Ruzicka/Albrecht dauerbeschäftigten Tenöre, kein großer Gestalter, aber immer sicher.
In den kleinen Rollen gibt es ein Wiedersehen mit Yvi JÄNICKE, von der ich nie eine schlechte Vorstellung gehört habe, als Frugola, wie später auch als Schwester Eiferin in der „Angelica“. Jürgen SACHER ist als Tinca ebenso quicklebendig, wie später als Gherhardo, Johann TILLI macht als Talpa und später als Simone einen guten Job. Als Liebespaar komplettieren Sabine RITTERBUSCH und Vicente OBUENA, der auch den Liedverkäufer singt.
Die wahre Meisterschaft des Regisseurs Harry Kupfer kommt dann jedoch erst bei „Suor Angelica“ und „Gianni Schicchi“ zum Vorschein. Hier stimmt jede Bewegung, es gibt für keine Figur jemals Leerlauf, jeder hat immer irgendetwas zu tun, ohne daß es jemals zuviel wird. Es ist einfach ganz natürlich, im wirklichen Leben stehen Menschen ja auch nicht in Gruppen planlos rum und warten, bis sie wieder etwas zu tun haben.
Die „Angelica“ bietet in den Nebenrollen so ziemlich alles, was Hamburg in den neunziger Jahren an Sängerinnen zu bieten hatte, und das war nicht wenig; Olive FREDRICKS, Zdena FURMANCOKOVA, Dagmar HESSE, Gritt GNAUCK, Sabine Ritterbusch und Hanne KROGEN. Gabriele ROSSMANITH macht die Schwester Genovieffa faktisch zur dritten Hauptrolle, so präsent ist sie.
Cristina GALLARDO-DOMAS singt und spielt sich in der Titelrolle die Seele aus dem Leib, vermag zu ergreifen, ohne in Sentimentalitäten abzugleiten. Und dann ist da noch Helga DERNESCH. Niemand hat mein Bild von der Zia Principessa so geprägt wie sie. Die Raumtemperatur fällt spürbar auf den Gefrierpunkt, wenn sie auftritt, soviel Eiseskälte verströmt sie. Gleichzeitig spürt man, daß sie keine Sadistin ist, sondern es ihr allein auf die Familienehre ankommt.
Helga Dernesch tobt dann kurz darauf mit einem immensen komischen Talent als Zita im „Schicchi“ über die Bühne, bei der man auf darüber h-inwegsieht, daß sie möglicherweise bei Buoso Donatis Tod nachgeholfen hat (immerhin schneidet sie diskret den Schlauch des Tropfes durch). Ähnlich beweglich und amüsant ist das Hamburger Baßurgestein Carl SCHULTZ als Betto von Signa, der mit einem E-Rollstuhl flinker unterwegs ist als fast alle anderen. Vicente Ombuena bietet als Rinuccio stimmlich viel, mit den Problemen an den gleichen Stellen, wie sie fast jeder in dieser Rolle hat, und spielt anbetungswürdig einen jungen Kerl mit Basecap, irgendwo zwischen Anpassung und Rebellion.
In den kleinen Rollen, alle exzellent besetzt, soweit noch nicht erwähnt, Renate SPINGLER (Ciesca), Dagmar Hesse (Nella), Klaus HÄGER (Marco), Ude KREKOW (Notar), Kurt GYSEN (Pinellino), Christoph Johannes WENDEL (Guccio) Dieter WELLER (Spinelloccio) und Jonas GRAAF (Gherhardino).
Dale DUESINGs Schicchi ist so ein echter Vorstadtmafioso, noch nicht ganz bei der neuesten Großstadtmode angekommen, aber den Großstädter in punkte Cleverness weit überlegen. Mit vielen hübschen Phrasierungen schafft er es, trotz des sehr starken Ensembles weiter Dreh- und Angelpunkt des Geschehens zu bleiben. Gabriele Rossmanith setzt ihrer starken Leistung in der „Angelica“ noch einen drauf, singt Lauretta mit wunderschönen Lyrismen und dem genauen Wissen, daß „O mio babbino caro“ nichts anderes als eine kluge emotionale Erpressung darstellt.
Am Pult des PHILHARMONISCHEN STAATSORCHESTERs stand der damalige Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper Gerd ALBRECHT, der wieder einmal erfolgreich dem Gerücht entgegendirigierte, daß er kein italienisches Repertoire konnte. Da war viel Gespür für Puccinis Musik vorhanden und ebenso viel Rücksicht auf die Sänger, die niemals Gefahr liefen, zugedeckt zu werden. Der CHOR unter Sibylle WAGNER leistet speziell in der „Angelica“ außergewöhnliches.
Vielleicht könnte die Hamburgische Staatsoper auch Sachen aus den letzten dreißig Jahren streamen? Oder würde dann zu sehr auffallen, daß seitdem szenisch wenig Gutes dazugekommen ist? MK