„Der scharlachrote Buchstabe“, – 17. Mai 2014

Kann man sich spontan in ein Werk verlieben? Man kann. Diese Version von Nathaniel Hawthornes Roman hat so viele wundervolle musikalische Momente, daß man sich eigentlich nicht daran satt hören kann.

Fredric Kroll, ein gebürtiger US-Amerikaner, der nach Deutschland migrierte, hat fünfzig Jahre lang an seiner Oper gearbeitet. Hört man sich die Musik unvorbereitet an, würde man sie vermutlich irgendwo in den ersten zwei Jahrzehnten des zwanzigsten Jahrhundert einordnen. Fredric Kroll ist jedoch Jahrgang 1945. Seine Oper erlebte ihre Erstaufführung nur mit Klavierbegleitung 1981. Vor einigen Jahren entstand eine Demoaufnahme des Stückes, die der Komponist fünfzig deutschen Opernhäusern zukommen ließ für eine Uraufführung mit Orchester. Unverständlicherweise griff keines zu. Liegt es daran, daß die Musik zu tonal ist, manchmal fast an Musicals gemahnt? Daß sie den Zuhörer zu packen weiß? Daß sie drei keineswegs leicht zu singende und zu spielende Hauptpartien aufweist?

Die Hamburger Kammeroper, die nie um eine Ausgrabung verlegen ist, ergriff schließlich die Gelegenheit und brachte das Stück mit einer bei ihr üblichen kammermusikalischen Bearbeitung und mit verbindenden Sprechtexten am 9. April 2014 zur Uraufführung. Der Erfolg gibt dem Haus recht.

Man könnte vielleicht anmerken, daß die deutsche Textfassung (Barbara Hass), worauf Regisseur Michael BOGDANOV im Programmheft hinweist, sehr sorgfältig am englischen Text entlang verfaßt wurde; leider ist sie an manchen Stellen nicht wirklich gut singbar.

Bogdanov inszeniert die Geschichte ohne Mätzchen, er erzählt stringent und nachvollziehbar. Besonders bei den drei Hauptpartien hat er offenbar auch viel Zeit in die Personenführung investiert, wobei er den intimen Rahmen dadurch ausnutzt, daß mit minimalen Gesten große Wirkung erzielt werden kann. Das Bühnenbild von Kathrin KEGLER ist einfallsreich. Mit wenigen Requisiten und Handgriffen entstehen eine Gefängniszelle, ein Pranger oder ein Wald, die als solches auch stets zu erkennen sind. Die Kostüme von Barbara HASS sind schön anzusehen, insbesondere Hester Prynnes Kleider sind eine Pracht.

Rebekka REISTER konnte uns als Hester Prynne zum ersten Mal wirklich begeistern. Im Gegensatz zu den Partien, die wir von ihr bisher an der Kammeroper gehört haben, besticht sie hier nicht nur mit einer ausgesprochen guten stimmlichen Leistung, die keine Wünsche offenläßt, sondern auch mit einer ausgefeilten Charakterstudie, die den Zuschauer jede Sekunde fesselt. Es wirkt, als wäre hier ein Knoten geplatzt.

Daß in Thomas FLORIO mehr steckt, als man bisher (insbesondere an der Staatsoper) hören durfte, ist wenig überraschend. Sein Roger Chillingworth ist so voll Dämonie, daß man nicht weiß, ob man fasziniert sein oder sich besser fürchten sollte. In jeden Fall kann man sich weder satt sehen, noch satt hören. Der Sänger beherrscht mit vollkommen natürlich wirkender Präsenz und perfekt geführter Stimme die Bühne, sobald er sie betritt, ohne dabei seine Partner zu vergessen.

Als Arthur Dimmesdale, der Mann, dessen Namen Hester nicht verraten will, sprengte Daniel POHNERT mit heldentenoralen Tönen fast den kleinen Raum. Da er auch zu piani-Tönen fähig ist, gelang ihm ein ergreifendes Porträt des in seiner Schuld verstrickten Pfarrers.

Sandra SCHÜTT singt neben einer Puritanerin auch Hesters Tochter Pearl. Die Spitzentöne sind unschön schrill. Es gelang ihr auch nicht, halbwegs glaubhaft ein zehnjähriges Naturkind auf die Bühne zu stellen.

Andrey VALIGURAS ließ als Reverend Wilson eine mächtige Baßstimme hören. Titus WITT sang gleich drei Rollen (John Bellingham, Puritaner, Kapitän) mit sonorem Bariton, von Jana LOU als Mistress Hibbins und Puritanerin hätte man gerne mehr gehört.

Fabian DOBLER, der diese musikalische Fassung geschaffen hatte, dirigierte am Pult des ALLEE THEATER ENSEMBLES den gesamten Abend über engagiert und ohne Probleme. Man kann eigentlich nur immer wieder betonen, welche großartige Arbeit dieses „Mini-Orchester“ in jeder Kammeroper-Produktion leistet.

Es ist wirklich nicht schwer, diese Oper auf die Bühne zu bringen. Vielleicht findet sich doch ein größeres Haus. Zu wünschen wäre es Werk und Zuschauern.

Wir werden definitiv ein zweites Mal in die Kammeroper gehen.
AHS & MK