Wenn man in der Pause googelt, ob es eventuell eine DVD einer anderen Produktion der gezeigten Oper gibt, ist das kein gutes Zeichen, und als gelungenen Wurf kann man Hamburgs neuste Operninszenierung in der Tat nicht bezeichnen.
Dabei standen die Vorzeichen auf Erfolg. Glinkas Oper gehört in unseren Breiten. nicht zum gängigen Repertoire Sie ist aber ein musikalisches Kleinod, aus dem sich wunderbar ablesen läßt, welche musikalischen Grundlagen Pate standen (Donizetti und Bellini treffen sich am Schwarzen Meer) und wohin sich die russische Oper des 19./20. Jahrhunderts einmal entwickeln wird, was das Zuhören zu einem großen Vergnügen macht.
Wie man auf der Website der Staatsoper lesen kann, war es Intension der Regisseurinnen Alexandra SZEMERÉDY und Magdolna PARDITKA (auch verantwortlich für Bühnenbild und Kostüme), sich zeitgemäß in der Emanzipationserzählung einer jungen Generation zu nähern, die aus dem engen Korsett allgemein anerkannter Lebenswege ausbrechen wolle. Woher sie das aus dem Stück selbst, der Musik oder Puschkins Geschichte als Grundlage des Ganzen, ziehen, bleiben sie schuldig.
Umdeutung allein nimmt den Zuschauer nicht mit. Es braucht eine Geschichte, einen erzählerischen Fluß. Eine bloße Aneinanderreihung von Szenen, bei denen vermutlich die Hälfte des Publikums den Kontext nicht versteht, reicht dafür nicht aus.
Zudem bleibt auch die Frage – zumindest für uns – unbeantwortet, wie denn nun die Hoffnung einer jungen Generation gegen die Gewalt einer kriegerischen Obrigkeit bestehen könne. Wenn am Ende die Bühne ein buntes Völkchen die Bühne stürmt, sind weder Ruslan noch Ljudmila dabei (okay, wahrscheinlich sind sie hier Teil des Establishments). Aber auch Naina fehlt, was die Frage aufwirft, wer denn nun die junge Generation im Stück repräsentiert.
Stattdessen fahren Ruslan, Ljudmila und Ratmir mit der U-Bahn davon, offenbar in einer menage à trois verbunden. Überhaupt, die U-Bahn, die den zweiten Akt dominiert, zahlreiche Stationen internationaler und Hamburger Strecken hat, aber eben auch über eine Linie verfügt, die zu Tschernomors Schloß fährt. Warum Ruslan und seine Begleitung dann nicht einfach diese Bahn nehmen, anstatt weitere zwei Akte durch die Gegend zu irren, ist rational nicht zu erklären.
Wenn ein Bild von dieser Produktion in Erinnerung bleibt, ist es sicherlich das Dritte im zweiten Akt. Definitiv der Verdienst der Lichtregie von Bernd GALLASCH, die die perfekte Illusion der nebelumhüllten Wüste, des Totenfelds schuf.
Ilia KAZAKOV als Ruslan hatte in dieser Szene auch seinen gesanglich wie darstellerisch stärksten Moment. Hier konnte er seine ausgesprochen schöne, farbenreiche Stimme optimal präsentieren und viel Sympathie für die Figur gewinnen, die ihr aufgrund der Regie in den anderen Szenen verwehrt bliebt. Plötzlich war da der von Glinka und Puschkin besungene Held, dessen Verzweiflung über seinen Verlust so anrührend gesungen wurde, daß es tief berührte.
Barno ISMATULLAEVA konnte auch hier nicht an ihre fulminante Leistung als Norma anknüpfen. Schade, denn eine stimmlich mehr auftrumpfende Ljudmila hätte dem Abend eine stückkonforme Intensität beschert.
So geriet Gorislawa (Natalia TANASII) nach und nach zum weiblichen Mittelpunkt, was in einer anrührenden, aber starken Cavatina im dritten Akt gipfelte. Ihr zu Seite Ratmir, hier mit dem Countertenor Artem KRUTKOS besetzt, der das ihm auferlegte Crossdressing anständig hinter sich brachte, ein wenig mehr Durchschlagskraft wäre aber wünschenswert gewesen, so ging die Stimme in den Ensembles teilweise unter.
Als Ljudmilas Dikatorenvater Swetosar war Tigran Martirossian zu erleben, der durch Präsenz und Stimmkraft die Rolle erheblich aufwertete. Die Idee, daß Ljudmilas Vater auch Tschernomor verkörpert, bereite dem Baß augenscheinlich einiges Vergnügen.
Naina erwies sich im stummen Spiel als beeindruckend präsent. Kristina STANEK lieh ihr im Zauberschloß/Bordell ihre Stimme. Von Alexei BOTNARCIUC (Farlaf) würde man gern mehr hören, um sich vollständiges Bild zu machen.
Bei Tenor Nicky SPENCE fragte man sich werbespotkonform, ob es für die Personalunion von Bajan und Finn nicht etwas vom (aus dem) Ensemble geben hätte. Die Stimme, die an diesem Abend so ganz ohne Schmelz und farblos fern dem passenden Idiom klang, erweckte für die Figur(en) keine wirkliche Sympathie.
Der CHOR (Leitung: Alice MEREGAGLIA) kann gern noch eine Schippe drauflegen.
Die musikalische Leitung oblag Azim KARIMOV, der im Vorspiel ein ziemliches Tempo vorgab, jedoch dann später auch die lyrischeren Stellen ausreichend würdigte. Während sich zwei Premierenkritiken offenbar nicht einigen konnten zwischen das Dirigat sei das Ereignis des Abends und „da fiel ja alles auseinander“ lag die Wahrheit in dieser zweiten Vorstellung sicherlich dazwischen.
Ganz so brillant wie zuletzt in „Das Paradies und die Peri“ klang das PHILHARMONISCHE STAATSORCHESTER diesmal nicht, aber man ist hier auf einem guten Weg zu früherem Glanz zurückzukehren und an Leistungen wie in nicht so ferner Vergangenheit anzuknüpfen. AHS & MK