„Otello“ – 12. März 2020

Die Stimmung im Haus hatte an diesem Abend etwas Beklemmendes, war doch bereits bekannt, daß dies auf behördliche Anordnung die letzte Vorstellung für mindestens sieben Wochen sein würde.

Und so war auch niemand überrascht, daß es vor Beginn eine Ansage gab. Die Geschichte, die man allerdings zu hören bekam, war in ihrer Gesamtheit so abenteuerlich, daß man dankbar war, daß das Haus diesen Abend überhaupt noch auf die Bühne gebracht hat. Der Wechsel in der weiblichen Hauptpartie war bereits bekannt. Wie es zum Dirigentenwechsel kam, und daß der Chor nur in dezimierter Größe einsatzbereit war, dagegen nicht. Hut ab für alle, die da hinter den Kulissen gewirkt haben.

Ein weiterer Teil der Ansage beinhaltete, daß man die Sänger gebeten hatte, auf allzu intensive Interaktion zu verzichten. Inwieweit das nun Einfluß auf die Inszenierung von Calixto BIEITO hatte ist schwer zu sagen, Immerhin wird auf Blut, überbordende Gewalt, expliziten Sex auf der Bühne und die Drehbühne verzichtet, was aktuell schon eine Erleichterung ist. Zypern ist in dieser Produktion ein düstererer Ort, frei nur die herrschende Klasse, gekennzeichnet als Anzugträger (Kostüme: Ingo KRÜGLER). Dem Volk, und damit dem Chor, sind permanent die Hände gefesselt. Sie leben von dem, was ihnen ausgeworfen wird. Was dies, aber vor allem auch der bühnenbeherrschende, orangefarbene Kran in der Hafenumgebung (Susanne GSCHWENDER) allerdings mit Verdis Vertonung des Shakespeare-Dramas bleibt ein Geheimnis des Regisseurs und seines Teams.

Uns zog an diesem Abend nicht José CURA als Otello in die Staatsoper. Die Enttäuschung hielt sich also in Grenzen. Hin und wieder blitzten stimmlicher Glanz und eine durchaus durchdachte Rolleninterpretation auf, und es gibt sicherlich schlechtere Interpreten der Partie. An Begeisterung und Applaus gab es am Ende für weite Teile des Hauses ohnehin kein Halten. Hochachtung hatte man in der Schußszene, wenn Otello sich auf das vorderste Ende des Kranauslegers schleppt, welcher zu allem Überfluß auch noch über den Orchestergraben verschwenkt wird, um dort sein Leben auszuhauchen. Definitiv nichts für Höhenphobiker.

Gepriesene und am Ende ebenfalls heftig akklamierte Einspringerin als Desdemona war Ailyn PÉREZ. Stimmen und Interpretation sind nun einmal Geschmackssache – und meins war hier beides nicht. Vieles klang nett, aber versucht kontrolliert und distanziert. Irgendwie fehlten das emotionale Fallenlassen und das Vertrauen auf die Kraft der Musik.

Nach seinem fulminanten Holländer hörte man Andrzej DOBBER nun als Jago. Dies gelang, auch wenn es anfangs zu leichten Irritationen mit dem Graben kam, mit seiner auch für Verdi gut passenden Stimme, der ihre Ecken und Kanten Charakter verleihen, und einem sich der Dramatik entsprechend steigernden Spiel. Dieser Jago gewann langsam, aber stetig die Oberhand und mit seinem Einfluß wuchs auch seine immer deutlicher hervortretende Verachtung gegenüber Otello.

Emilia ist bei Bieto Grenzgängerin zwischen beiden Welten. Sie gehört nicht zu den Anzugträgern und geht wohl auch einem eher zweifelhaften Gewerbe nach. Inwieweit dies Jagos Karriere förderlich wäre, verschenkt der Regisseur. Cristina DAMIAN brachte auch dies ohne Schwierigkeiten auf die Bühne. Für ihre Stimme gibt es sicherlich größere Herausforderungen in anderen Partien, aber mit ihrer Stimm- und Bühnenpräsenz behauptete sie ihren Platz zwischen den Hauptfiguren und stahl am Ende Desdemona sogar die Show, indem sie nur dasaß und einen Schleier zerriß.

Mehr als nur Beau im perfekt sitzenden Anzug war Dovlet NURGELDIYEVs Cassio, auch wenn der Dünkel der Figur aus jeder Pore sprach. Stimmlich kontinuierlich wachsend, machte der Tenor mit seinem Gesang Lust auf die Aufgaben, die in der neuen Spielzeit anstehen – und traurig, daß man auf seinen Fenton nun länger warten muß.

Tigran MARTIROSSIAN brillierte als Lodovico. Hubert KOWALCZYK (Montano) und Michael KUNZE (Un Araldo) boten ebenfalls sehr gute gesangliche Leistungen, wohingegen Rodrigo mit Peter GALLIARD besetzt war.

Der dezimierte CHOR (Leitung: Eberhard FRIEDRICH) beeindruckte nachhaltig. Das klang satter und mächtiger, als man unter den am Beginn des Abends erläuterten Umständen erwartet hatte. Eine grandiose Leistung.

Daniele CALLEGARI, eigentlich für die „Simon Boccanegra“-Proben in Hamburg, war erst am Donnerstag eingesprungen und zauberte seine sensible, mitreißende und spannende „Otello“-Interpretation quasi aus dem Hut. Das ORCHESTER folgte dem gut disponiert, mit sattem Klang und nur minimalen Irritationen an der einen oder anderen Stelle.

Der Schlußapplaus war an diesmal besonders anhaltend und begeistert. Jedem Einzelnen auf und hinter Bühne sowie im Graben ist zu danken, dem Publikum diesen Abend noch geschenkt zu haben. Hoffen wir, daß es nur bei den geplanten sieben Wochen bleibt. AHS