Ich habe „Falstaff“ in jetzt acht verschiedenen Produktionen gesehen, und die von Calixto BIETO war die mit Abstand unlustigste. Warum man hierfür die wunderschöne Marelli-Inszenierung mit ihren unglaublich genauen musikalischen Abläufen, sonnendurchfluteten Bilder und charakteristischen Kostümen eingemottet hat, weiß auch niemand.
Aus nicht nachvollziehbaren Gründen spielen auch die Szenen im Hause Ford im oder vor dem Pub, in dem Falstaff lebt. Susanne GSCHWENDER hat hier ein Bühnenbild entwickelt, das durch die sich ständig drehende Bühne alle Seiten des Gebäudes zeigt. Anja RABES hat Kostüme geschaffen, die in Ordnung sind, aber nicht in Erinnerung bleiben, was tatsächlich ein grundsätzliches Problem der Produktion ist. Es ist nichts da, woran man sich wirklich erinnert, und wenn man es tut, liegt es an der Unlogik der Szene. Warum treiben sich die Damen vor dem Pub herum und besaufen sich dort? Will Falstaff nicht eigentlich bei Alice und Meg an ihr Geld? Welche Frau mit Geld trinkt auf der Straße? Wieso geht Meg, wenn sie so dringend zur Toilette muß (Klowitze, wie witzig…), nicht im Pub, vor dem sie steht? Wieso wird Falstaff im vierten Bild durch eine Luke im Boden entsorgt, die ganz offensichtlich nicht ins Wasser führt und dann mit Abfall beworfen, trocknet sich aber im fünften Bild mit Klopapier (oh, schon wieder ein Klowitz!) auf der Pubtoilette ab? Wenn Falstaff und dann auch Fenton im vierten Bild durchs Haus gejagt werden, will man offenbar an große Slapstick-Verfolgungsjagten der Filmgeschichte anknüpfen – und scheitert schon am Timing.
Tatsächlich grenzt der zweite Teil nach der Pause endgültig an Arbeitsverweigerung der Regie. Es passiert an Hernes Eiche: genau nichts. Falstaff hängt mit dem Oberkörper über die Rückenlehne eines Sessels, der Rest steht um ihn herum. Zur Fuge kommt dann der einzige originelle Regieeinfall: Falstaff legt seinen Bauch ab, die Sänger treten aus ihren Rollen heraus. Etwas wenig für eine ganze Oper.
Ein Ärgernis sind auch die Übertitel, die nur das übersetzen, was zur Produktion paßt. Es gibt keinen Wäschekorb und keinen Paravent, also finden die auch in den Übertiteln nicht statt, obwohl von ihnen gesungen wird.
Lucio GALLO, in der Marelli-Inszenierung noch der kongeniale Ford zu Alan Titus‘ Falstaff, ist jetzt zur Titelrolle gewechselt. Daß die Serie nicht zum Totalausfall wurde, so ist dies größtenteils sein Verdienst. Da gurrt es, da wird mit der Stimme gespielt, jede Textnuance ausgelotet, spontanen Einfällen einfach nachgegangen. Und mitten drin gibt es ein paar Phrasen, die dramatische Verdi-Partien anklingen lassen, was wiederum der Charakterisierung dient von Falstaffs eingebildeter oder tatsächlicher glorreicherer Vergangenheit. Das komische Timing, den Sinn für – auch unerwartete – Effekte, was der Produktion fehlt, verschwendet Gallo im Übermaß, und manchmal gelingt es sogar, die anderen Figuren damit anzustecken.
Sergey KAYDALOV als Ford war am ersten Abend praktisch nicht vorhanden, kaum hörbar und ging darstellerisch im Dekor unter. Dies besserte sich jedoch in der zweiten Vorstellung massiv, in der dritten zeigte er eine gute Leistung, die Arie war klug phrasiert, er traute sich auch, eigene Akzente zu setzen und schaffte es, im Duett mit Falstaff einige Lacher zu ernten.
Jürgen SACHER hat Dr. Cajus schon in der alten Marelli-Produktion großartig verkörpert sowie in diversen weiteren Produktionen in Deutschland, an ihm perlt die Nichtregie ab, da gibt es genug, worauf er zurückgreifen kann. Es mutet allerdings schon etwa skurril an, wenn die beste Tenorleistung in einem „Falstaff“ von Dr. Cajus kommt.
Miles MIKKANEN mußte als Fenton halb nackt über die Bühne toben, während er stimmlich eher eingeschränkt war, insbesondere in den Höhen. Warum man für diese Leistung einen Gast engagieren mußte, bleibt schleierhaft.
Daniel KLUGEs Bardolfo war ebenfalls in den Höhen eingeschränkt und zeichnete sich durch ein eher enervierendes Gezappel aus. Die beiden Pistolas Tigran MARTIROSSIAN (11. April) und Hubert KOWALCZYK hingegen bewiesen, daß ein solches Gezappel überhaupt nicht notwendig ist, sondern man auch Komik entwickeln kann, indem man einfach nur präsent ist und schöne Baßtöne hören läßt.
Von den Damen war Katharina KONRADI als Nannetta die einzige, die ein Profil entwickeln konnte. Sie sang nicht nur blitzsaubere Soprantöne, sondern spielte, als habe sie zur Vorbereitung ein paar Folgen „Derry Girls“ geschaut und sich Michelle zum Vorbild genommen, großartig eine rotzige Schulgöre.
Tara ERRAUGHT blieb als Alice eigentlich nicht wirklich in Erinnerung, da ihr weder die strahlenden Töne in den Ensembles zur Verfügung standen, noch irgendeine Präsenz. Judit KUTASI als Quickley hatte alle Töne, und konnte trotzdem nicht wirklich begeistern, auch hier fehlte es daran, die Figur zum Leben zu erwecken. Ida ALDRIANs Meg war mehr damit beschäftigt, die Regiemätzchen umzusetzen, was aber auch nicht dazu führte, daß die Rolle eigenes Profil bekam. Wieviel die Regie an dieser Konturlosigkeit aller drei „unlustigen Weiber“ Schuld trug, kann man nur vermuten.
Leo HUSSAIN am Pult des PHILHARMONISCHES STAATSORCHESTERS schaffte es kaum, Bühne und Graben zusammenzuhalten. Am 11. April gab es einen Totalausstieg im zweiten Bild, an den folgenden Abenden diverse Momente, an denen es wirkte, als könnten die Sänger sich nur auf sich selbst verlassen, denn da wackelte schon einiges. Gerade jedoch „Falstaff“ benötigt Exaktheit. Der CHOR DER HAMBURIGSCHEN STAATSOPER war im letzten Bild stimmlich präsent; von der Regie genauso sträflich behandelt wie alle anderen standen sie hauptsächlich herum. MK