„Jewgeni Onegin“ – 10. April 2016

Wer das nicht gesehen hat, hat etwas verpaßt. Die Hamburgische Staatsoper präsentierte eine gelungene Tschaikowski-Serie und zeigt, welche großartigen Talente in Ensemble und Opernstudio stecken.

Iulia Maria DAN konnte man seit Beginn der aktuellen Spielzeit schon in den unterschiedlichsten Rollen erleben. Nach Rosalinde und Fiordiligi zum Jahresanfang mochte man gar nicht glauben, daß hier die gleiche Künstlerin auf der Bühne stand, so zart, so zerbrechlich war ihre Tatjana anfangs. Die mädchenhafte Erscheinung fand ihre Entsprechung in der vokalen Interpretation. Die Briefszene wurde zum emotionalen Feuerwerk einer jugendlichen Seele. Tatjanas Gefühle wurden glaubhaft wiedergeben, und die überzeugende Entwicklung vom jungen, verliebten Mädchen zur stolzen Ikone der Petersburger Gesellschaft gipfelte in einer höchst dramatisch umgesetzten Schlußszene.

Kongenialer Partner in diesem Spiel war Alexey BOGDANCHIKOV. Sein Onegin war anfangs nicht übertrieben unterkühlt, was seinen Umgang mit Tatjana, den Flirt mit Olga und auch die Verzweiflung nach Lenskis Tod umso glaubhafter wirken ließ. Stimmlich den stärksten Eindruck machte der Bariton in seinem leidenschaftlichen Ausbruch nach der Wiederbegegnung mit Tatjana sowie in der emotionalen letzten Szene. Hier kam seine ausgesprochen schöne Stimme mit ihren überraschend vielfältigen Facetten besonders gut zum Tragen. Aber auch die vokal wie darstellerisch makellos dargebotene Rückgabe des Briefes mit ihrem schön gesungenen Schlußton darf nicht unterschlagen werden.

Zu der Riege der perfekten Olga-Interpretinnen gehört definitiv Nadezhda KARYAZINA. Die Sängerin strahlt eine unaufdringliche Lebendigkeit aus und kokettiert augenscheinlich voller Spielfreude rollenkonform mit allen Bühnenpartnern. Ihre dunkle Stimme wirkte dabei nie störend, sondern klang so natürlich wie tadellos.

Es gibt Leute, die würden in Hamburg vermutlich auch für das (in diesem Fall natürlich überaus perfekte) Absingen eines Waschzettels gefeiert werden… Alexander TSYMBALYUK ist zurück als Gast an der Staatsoper und machte es sich dann doch nicht so leicht. Seine Interpretation der Gremin-Arie war ein gesangliches Meisterstück und die perfekte Symbiose aus Inhalt und vokaler Darbietung. Erstaunlich, wie viel Seelenleben man in einem Sechs-Minuten-Stück unterbringen und wie farbenreich auch die schwärzeste Tiefe eines Basses noch sein kann.

So grandios seine Partner waren, am meisten vom Publikum mit Ovationen bedacht wurde Dovlet NURGELDIYEV – und das völlig zu Recht. Man wird nicht müde, ein Loblied auf seine perfekte stimmliche Interpretation jeglicher Tenorpartie, seine ausgefeilten Charakterstudien und seine exzellente Sprachbehandlung anzustimmen. Lenski, tragisches Opfer von Verliebtheit in Poesie und die Idee der idealen Liebe, ist hier keine Ausnahme. Wohin so viel Gesangskunst und darstellerisches Können führt? Nun, hoffentlich in die ganz große Karriere.

Larinas ganze mütterliche Autorität wurde von Katja PIEWECK glaubhaft auf die Bühne gebracht, ohne daß die wehmütigen Erinnerungen der Figur verlorengingen. Auch hier war wieder ein großes Plus mit wieviel Professionalität und Können sie sich selbst in kleine Rollen stürzt. Svetlana SANDLERs glaubwürdige Verwandlung in Filipjewna war recht erstaunlich, dürfte sie vermutlich nicht einmal halb so alt wie die Amme sein.

Seinen Kurzauftritt als Triquetnutzte Jürgen SACHER für rollenkonform leidenschaftliches Vokalschmachten. Bruno VARGAS beherrschte die Choreografie des Cotillon perfekt und machte auch sonst als Trifon Petrowitsch eine ausgezeichnete Figur. Stanislav SERGEEV war als Saretzki überaus präsent und ist definitiv ein weiterer Gewinn für die hiesige Baßriege.

Das Dirigat von Stefano RANZANI hinterließ einen sehr zwiespältigen Eindruck. Einerseits gelang ihm streckenweise ein sinfonisch recht ordentlicher „Onegin“; durchaus mit Gespür für Tschaikowski und dessen Klangwelt. Die Koordination mit der Bühne, mit der ein Operndirigat nun einmal steht und fällt, war allerdings desaströs. Insbesondere der CHOR litt hierunter. Man ist von den Damen und Herren wesentlich besseres gewohnt, als sie unter den gegebenen Umständen leisteten. Das PHILHARMONISCHE STAATSORCHESTER bekleckerte sich an diesem Abend allerdings auch nicht gerade mit Ruhm. Lag es am Dirigat, lag es an einer gewissen Unkonzentriertheit, die Klangqualität war an manchen Stellen eher ausbaufähig,und so mancher Wackler schien nicht vermeidbar.

Die Inszenierung – inzwischen „nach“ Adolf DRESEN – hat nichts von ihrem Charme verloren. Mit wenigen, teils beinahe spartanischen Mitteln und Requisiten wird der Zuschauer hier rasch in den Bann von Tschaikowskis Oper gezogen. Karl-Ernst HERRMANNs Bühnenbild und die Kostüme von Margit BÁRDY tragen ihren Gutteil zur perfekten Illusion bei. Allein die Choreografie (Rolf WARTER) hat etwas viel vom folkloristischen Russlandbild am Ende der siebziger Jahre.

Wieder mehr russische Oper in Hamburg bitte, muß man aufgrund dieser „Jewgeni Onegin“-Serie sagen. Die Liste all der schönen Werke von Tschaikowski, Mussorgski, Rimski-Korsakow etc. ist lang – und aktuell hat die Staatsoper definitiv die Leute dafür im Ensemble.
AHS