Vorverkauf Update (Warum?, die zweite)

Nach der Diskussion am 4. April 2018 ging die Leitung der Oper in sich, dachte offenbar intensiv nach und modifizierte die Neuregelung des Vorverkaufs auf eine leicht absurde Weise.

Wer sich bis zum 25. Mai 2018 anmeldet, kann, wenn denn mehr als dreißig Karten zum Gesamtpreis von mehr als € 300,– erworben werden, zum Beginn des Vorverkaufs für die nächste Saison Ratenzahlung erhalten. Auch können dann bis 28 Tage vor der Vorstellung für die Teilnehmer des Ratenzahlungsprogramms Karten getauscht werden.

Wie bitte? Welche Wünsche aus dem Publikum hat die Leitung der Oper hier genau erfüllt? Wem hilft diese Änderung? Von den drei Gruppen aus meinem ursprünglichen Artikel wohl niemandem:

  • Die Besucher mit der mangelnden Planungssicherung, zu denen ich selbst gehöre, haben kaum Vorteile. Sie brauchen eher keine Ratenzahlung. Und wogegen soll dann im Verhinderungsfall die erworbene Karte getauscht werden? Die meisten Vielbesucher gehen wegen Besetzungen, nicht wegen Inszenierungen, auch wenn Opernhausleitungen dies gerne anders hätten. Wenn ich eine bestimmte Besetzung hören will, kaufe ich meist Karten für alle Vorstellungen der Serie. Wenn ich also davon eine Vorstellung nicht besuchen kann, soll ich die Karte dann gegen eine andere Vorstellung der Serie tauschen, für die ich bereits eine Karte habe? Oder gegen eine Vorstellung, die ich gar nicht besuchen möchte? Und was ist gegen Ende der Spielzeit, wenn es kaum noch Auswahlmöglichkeiten für einen Tausch gibt?
  • Den gesundheitlich oder altersbedingt eingeschränkten Besuchern hilft die Änderung auch nicht. Wenn diese im Februar feststellen, daß sie im März wohl nicht in der Lage sein werden, eine Vorstellung zu besuchen, weil es ihnen nicht gut genug geht, werden sie dann voraussichtlich auch nicht in der Lage sein, dies im April zu tun. Und wie es ihnen im Juni geht, können sie drei Monate vorher auch schwerlich sagen. Die Tauschmöglichkeit hilft hier nicht.
  • Und die in prekären Verhältnissen lebenden Besucher? Vielleicht hilft zur Verdeutlichung ein wenig Mathematik. Die günstigste Sitzplatzkarte für eine Opernvorstellung kostet in der Regel € 12,– bis € 13,–. Die Spielzeit dauert grob gesagt zehn Monate. Um in den Genuß der Ratenzahlung zu kommen, müssen somit mindestens € 360,– bis € 390,– aufgewendet werden (30 Karten à €12,–/€ 13,–). Bei zehn Monaten macht dies eine Rate von mindestens € 36,–. Der Regelsatz für den Lebensunterhalt eines alleinstehenden Erwachsenen ohne Miete nach SGB II (besser bekannt als Arbeitslosengeld II oder Hartz IV) oder SGB XII (Grundsicherung) beträgt derzeit € 416,–. Darin enthalten sind knapp € 40,– monatlich für „Kultur, Unterhaltung, Freizeit“. Das bedeutet also, eine solche Person muß fast ihr gesamtes Budget für Freizeitgestaltung für Opernkarten ausgeben, um Ratenzahlung zu erhalten. Zehn Monate lang also kein Buch kaufen, kein Schwimmbad, kein Kneipen- oder Cafébesuch, etc. Der Verweis auf die zwölf Steh- und vier Hörplätze funktioniert übrigens auch nicht. Bei einem Preis von ca. € 6,50 pro Karte müssen insgesamt 47 Karten erworben werden, um Ratenzahlung zu erhalten. Und auch bei € 30,– monatliche Rate bleibt nicht viel übrig für andere Freizeittätigkeiten. Wenn der Besucher jedoch nur eine Vorstellung pro Monat besuchen will, kostet ihn dies ca. € 125,– für die es keine Ratenzahlung gibt. Sozial ist was anderes. Diese Entscheidung über Zahlungserleichterungen kann man wohl nur abgehängt von der Realität nennen.

Als wäre das PR-Desaster im Falle Julie Fuchs (Oper läßt aus angeblichen Gründen des Mutterschutzes die im vierten Monat schwangere Frau Fuchs nicht Pamina singen und versucht nicht einmal, dem natürlich unweigerlich und zu Recht eintretenden Shitstorm auch nur ansatzweise angemessen zu begegnen) nicht genug, scheint die Opernleitung derzeit mit einem wirklich überfordert: Kritik anzunehmen, ihr zu begegnen, die eigenen Intentionen zu kommunizieren und vielleicht auch einmal eine schlechte Entscheidung zu revidieren. Stattdessen soll offenbar suggeriert werden: „Wir hören euch – aber leider nicht zu.“

Die neue geänderte Regelung hat den gleichen Effekt, den ein Heftpflaster auf die „Titanic“ nach dem Zusammenstoß mit dem Eisberg gehabt hätte. MK