Sind noch „Italienische Opernwochen“ in Hamburg? Und wenn nein, warum nicht? Dieser Abend hätte die Erwartungen, die diese PR-Aktion regelmäßig weckt, musikalisch in jedem Fall erfüllt.
Als Norma glänzte Barno ISMATULLAEVA, die an diesem Abend endgültig in der Rolle der Hohepriesterin angekommen war. In ihrer Stimme steckt schon vieles, das in Zukunft gern von ihr hören möchte. Hier und jetzt begeisterte sie mit akkurater, aber nie eindimensionaler Stimmführung, mit warmen Klängen, die sich am Ende in eine fahle, perfekt passende Härte wandelten, ohne daß die Stimme dabei kantig klang. Normas Schwanken zwischen Hoffnung, Verzweiflung, Liebe und verlorenem Lebensmut konnte man hier hören, sehen, ja, beinahe greifen. Kurz, die Sängerin zeigte, daß die Partie eben mehr ist als nur eine bekannte Arie.
Karine DESHAYES als Adalgisa stand dem in Nichts nach. Die Jugendlichkeit, aber auch die Selbstbehauptung der Figur fanden in Gesang wie Spiel eine perfekte Entsprechung. Mit ihrer stimmlichen Präsenz vermochte die Sängerin, die Bühne problemlos allein zu füllen, sie harmonisierte aber auch perfekt mit ihren Partnern. „Sì, fino all’ore estreme“, gesungen in diesem virtuosen Einklang, war definitiv einer der Höhepunkte des Abends.
Nach dem so positiven Eindruck seines Luigi vor einigen Wochen konnte sich Najmiddin MAVLYANOV als Pollione sogar noch steigern. Belcanto im stimmlich besten Sinne, auf den der Tenor sich auch locker hätte beschränken können. kam hier mit einem durchaus tiefgründigen Rollenporträt zusammen. Held oder Antiheld war am Ende eigentlich egal, wußte der Tenor doch die Figur so zu zeichnen, daß man verstand, wie Pollione es nicht nur zum römischen Prokonsul gebracht, sondern auch gleich zwei Frauen des eigentlich feindlichen Lagers in seinen Bann gezogen hatte.
Als Oroveso stellte Tigran MARTIROSSIAN seine große Wandlungsfähigkeit unter Beweis. Im April noch in Sachen Komik unterwegs, brachte er nun, jederzeit stimmlich präsent, die notwendige Grandezza auf die Bühne, ohne dass der charismatische Manipulator auf der Strecke blieb.
Renate SPINGLER spielte all ihre Trümpfe in Sachen Präsenz und Stil gekonnt aus und verhalf Clotilde so zu einer deutlichen Aufwertung, während Seungwoo Simon YANG als Flavio zwar ein vermutlich grausiges Ende nahm, mit seiner schönen Stimme und dem natürlich wirkenden Drang zum Spiel Neugierde auf seine Auftritte in der nächsten Saison weckte.
Giampaolo BISANTI machte mit seiner für das Genre goldrichtigen, vitalen musikalischen Leitung Hoffnung, daß beim Hamburger ORCHESTER doch noch die ganz großen Abende drin sein könnten. Man spielte dynamisch, durchaus mit Schönklang und vor allem präzise. (Wann startet der neue GMD genau?)
Auch beim CHOR (Leitung: Eberhard FRIEDRICH) ist es aktuell ein stetiges Auf und Ab. „Guerra! Guerra!“ gelang an diesem Abend mit Präzision und Verve, und auch sonst klang es wesentlich mehr nach Belcanto-Oper statt nach Gemeinschaftsgesang mit Regieaufgabe.
Die Inszenierung von Yona KIM erwies sich als ausgesprochen enttäuschend. Welche Geschichte wird hier erzählt und warum? Wird überhaupt eine Geschichte erzählt? Man weiß es nicht. Eigentlich sollte es nicht sooo schwer sein, den ältesten Opernplot (Liebe, Herzschmerz, Tod) in eine brauchbare Inszenierung zu verwandeln, oder?
Das Bühnenbild von Christian SCHMIDT bewies vor allem, daß die Hamburger Bühnenarbeiter einen 20-Fuß-Container unfallfrei und ohne Zuhilfenahme einer Containerbrücke von hinten nach vorn bzw. von oben nach unten sowie jeweils wieder zurück bewegen können. Dazu gab es Tische, Stühle, ein Doppelstockbett für die Kinder und eine Treppe zwischen oberem und unterem Teil des Containers.
So manche Lichtregie kann einen Abend deutlich aufwerten oder gar retten. Leider gab sich Reinhard TRAUB primär mit den Stufen hell und dunkel zufrieden. Desweiteren war auf der Website der Staatsoper etwas Videodesign (Philip BUSSMANN) zu lesen. Was habe ich an dieser Stelle in bis dato drei Vorstellungen verpaßt?
Die Kostüme sind ähnlich beliebig wie die gesamte Produktion. Welche Geschichte wollte Falk BAUER das Publikum mit ihnen erzählen? Die von einer dystopischen Welt mit Anklängen zu „A Handmaid’s Tale“? Zum Ende hin schien die Kostümierung des Chors vom BDM zum BGH zu führen. Vielleicht wollte man dem Publikum damit etwas über die Wandelbarkeit von Menschen sagen. Vielleicht.
Augen zu und durch wäre ob der darstellerischen Leistungen des Sängerensembles hier die falsche Empfehlung. Augen auf und die Produktion so weit wie möglich ignorieren – das könnte klappen. AHS