„La Traviata“ – 1. Mai 2015

Manchmal, ja, ganz manchmal, da hat man diese Vorstellungen, in denen die Musik so vollständig über szenische Albernheiten siegt, daß man diese gar nicht mehr wahrnimmt, weil man derartig von den Sängern gefesselt wird. Daß bis auf den Bariton alle aus dem Ensemble stammen, zum größten Teil aus dem Opernstudio erwachsen sind, macht fast sprachlos. Man kann nur hoffen, daß die neue Intendanz diese Ensemblepflege nicht vernachlässigen wird.

Daß der Nachmittag so großartig war, lag zunächst einmal an Katerina TRETYAKOVA, die inzwischen vollständig in der Violetta aufgeht. Sie hat weder mit den Koloraturen des ersten Aktes, noch mit den Ausbrüchen der folgenden Szenen Schwierigkeiten, sie kann mit Phrasen spielen und ist zudem einer der wortdeutlichsten Soprane, die mir je begegnet sind. Hinzu kommt noch, daß sie von Spiel und Erscheinung in jeder Sekunde glaubhaft ist.

Dovlet NURGELDIYEV hatte als Alfredo ebensogroßen Anteil daran. Wiederum beeindruckte er durch die ruhige Bestimmtheit, mit welcher er unendliche Legati singen kann. Er besitzt eines der schönsten Tenortimbres der jüngeren Sängergeneration. Seine Phrasierungen sind geradezu perfekt und wirken dabei trotzdem immer spontan, seine Darstellung wirkt immer genau richtig für die jeweilige Figur.

Die erste Begegnung mit Gezim MYSHKETA war eine ausgesprochen erfreuliche. Er sang und spielte Germont mit sehr feinen Nuancen – erwähnenswert der Moment, als er unvermittelt sich an Violetta festklammert, um in der nächsten Sekunde völlig konsterniert über sein eigenes Verhalten zu sein – die Stimme ist individuell timbriert, er weiß piani zu setzen und kann die Phrasen strömen lassen.

Ida ALDRIAN stattet Annina nicht nur mit ihrem exzellenten Mezzo aus, sondern spielt extrem überzeugend, daß ihr Verhältnis zu Alfredo gespannt ist. Cristina DAMIAN macht mit ebenso großartiger Stimme alles aus Flora. Beide Sängerinnen rechtfertigen die Aufwertung dieser beiden Rollen in der Inszenierung.

In den kleineren Rollen brillierten als weitere Luxusbesetzungen Alin ANCA (Grenvil) und Levente PÁLL (Douphol), auf gutem Niveau ebenfalls Florian SPIESS (Marchese), Daniel TODD (Gastone) und Benjamin POPSON (Giuseppe).

Grundsätzlich leistet Henrik NÁNÁSI am Pult der absolut tadellosen PHILHARMONIKER HAMBURG gute Arbeit. Er dirigiert sängerfreundlich und unaufdringlich. Der Beinahetotalausstieg am Ende vom dritten Bild hätte ihm aber nicht passieren dürfen. Es dauerte einige quälend lange Takte, bis Sänger, Chor und Orchester wieder zusammenfanden. Der CHOR unter Christian GÜNTHER bot eine angemessene Leistung.

Und die szenischen Albernheiten? Johannes ERATH erzählt das Stück in Rückblenden, am Ende spukt Violettas Geist über die Bühne. Wäre gar nicht so verkehrt, wenn nicht aus irgendwelchen Gründen ständig Autoscooter vom Schnürboden herunterhängen bzw. auf der Bühne stehen (Bühnenbild Annette KURZ), mit denen zu meiner großen Enttäuschung die Sänger nicht wirklich fahren dürfen, und irgendwelche „gegipsten Gestalten der Vergangenheit“ (Zitat unserer Begleitung) über die Bühne latschen. Schlimmstenfalls lenkt es ab, trägt aber nichts zur Geschichte bei. Es wird ständig mit Laub geworfen, und auf den beiden Festen scheint es jeder mit jeder zu treiben, was irgendwie die diversen Eifersuchtsszenen ein bißchen absurd macht.

Die Kostüme (Herbert MURAUER) sind in Ordnung abgesehen von Violettas bauschigem Kleid, welches das Gehen erheblich erschwert. Und man hofft, daß sich die Kostümabteilung etwas einfallen läßt, wie Violettas knappes Hemdchen geschmackvoll geändert werden kann, sollte einmal eine Sängerin ohne Modelmaße engagiert werden.

Übrigens sind die deutschen Übertitel in ihrem ständigen, wenig nachvollziehbaren Wechsel zwischen Duzen und Siezen sehr verwirrend, zumal sich dieser Wechsel auch in keiner Weise am italienischen Libretto orientiert.
MK