Edinburgh ist wegen seiner architektonischen und landschaftlichen Schönheit eigentlich immer und auch ohne besonderen Grund eine Reise wert, doch auch in theater-kultureller Hinsicht ist die Stadt interessant. Neben dem berühmten Edinburgh Festival bietet das Playhouse das gesamte Jahr über ein bunt gemischtes Programm aus Konzerten, Musical u.ä.
Ende Mai / Anfang Juni machte die „Evita“ UK Tour hier Station. Diese Produktion war neben diversen britischen Städten auch bereits in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu sehen. Ausstattungstechnisch überzeugt sie mit praktikablen Bühnenelementen, die immer wieder neu zusammengestellt genau die jeweils passende Kulisse für die entsprechende Szene bieten (Design: Matthew WRIGHT). Die in die Handlung eingebauten Szenenwechsel gaben dieser sehr zeitgetreuen Interpretation (Regie: Bob TOMSON + Bill KENWRIGHT) eine zusätzliche Dynamik. Man bekam perfektes Tourneetheater zu sehen, ohne daß es für eine Sekunde billig oder zusammengewürfelt wirkte. Gleiches galt für die Kostüme.
Auf der musikalischen Seite waren die Herren nicht nur in der Mehrzahl, sondern eindeutig auch im Vorteil. Mark POWELL trug das Stück mit flexibel einsetzbarer, gut geschulter Stimme, großer darstellerischer Begabung und einer stetig vorhandenen Agilität, die perfekt zur Rolle des Che paßte. Er tobte quirlig von einem Ende der Bühne zum anderen und sorgte trotz aller Lebendigkeit rollenkonform, ohne zu übertreiben, für den kritischen Blick auf das Geschehen.
Abigail JAYE fehlt das eine oder andere zu einer wirklich guten Evita. Stimmlich war sie der Rolle trotz des einen oder anderen Wacklers meist gewachsen, doch sie machte schlicht zu wenig aus der Partie. Wenn Eva ordinär wirken sollte, wurde der Gesang einfach lauter. Die emotionalen Momente wurden teils übertrieben. Vieles wirkte aufgesetzt. Generell vermißte man die stringente Linie in der Entwicklung vom Mädchen mit Ambitionen zur First Lady von Argentinien, die ihre Wurzel nicht verleugnen kann.
Earl CARPENTER könnte man vorhalten, daß sein Peron zu nett, zu sehr um Eva bemüht wirkte, anstatt die eigentlichen Ambitionen der Figur in den Vordergrund zu stellen. Schlußendlich aber überzeugt der Künstler so sehr mit seinen vokalen Fähigkeiten, der farbenreichen Stimme und der beeindruckenden Bühnenpräsenz sowie der echt wirkenden Emotionalität, daß man sich mit der wohl von der Inszenierung vorgegebenen Rolleninterpretation sehr gut anfreunden konnte.
Ebenfalls großartig war Nic GIBNEY als Magaldi. Neben einer perfekten gesanglichen Umsetzung zeigte er die grandiose Parodie eines tenoralen Möchtegernstars und betätigte sich ganz nebenbei als professioneller Szenendieb. Abigail MATTHEWS konnte mit ihrem kurzen Auftritt als Perons Mistress begeistern.
Auch das übrige Ensemble besaß eine hohe Qualität – sowohl im Gesang, als auch im Spiel. Man sah eine Gruppe teils noch recht junger Künstler, die man sich alle alsbald in größeren Rollen wünscht.
Das Orchester spielte überaus solide. Es zeigte sich ein weiteres Mal, daß nicht die Größe der Besetzung entscheidend ist, sondern viel mehr die Qualität der Musiker als solches. David STEADMAN leitete den Abend mit Verve.
Ähnlich wie bei Opernaufführungen wäre es auch im Musicalbereich inzwischen angebracht, Stücke in der Originalsprache aufzuführen. Gerade „Evita“ verliert in der deutschen Übersetzung viel an Hintersinn und Esprit, da man sich offenbar davor gescheut hat, die Texte von Tim Rice in ihrer Deutlichkeit zu übertragen. Und so war der Abend auch dank der englischen Originaltexte ein Hochgenuß.
Bill Kenwrights „Evita“-Produktion wird in diesem Sommer noch in Berlin und Hamburg gespielt. Ein Besuch ist, auch bei ggf. abweichender Besetzung, nur zu empfehlen. AHS