Ein zweiter Besuch in dieser Produktion an einem unglaublich heißen Juni-Tag. Es ist wirklich bewundernswert, wie die Deutsche Oper es geschafft hat, den Zuschauerraum auf eine angenehme Temperatur, ohne daß es zugig wurde, herabzukühlen. Da muß man die Vorderhaustechnik uneingeschränkt loben.
Sam BROWNs Inszenierung ist schon in der Premierenserie im März 2024 von mir besprochen worden. Man kann jetzt durch Wechsel der Besetzung in dreien der Hauptrollen feststellen, daß die Produktion klarer wird, die Personenführung noch nachvollziehbar, allerdings zeigt sich auch ein grundsätzliches Problem deutlicher.
Maria MOTOLYGINA identifiziert sich so vollständig mit dem Konzept, das Lisa als unterdrücktes, übersehenes Mauerblümchen zeigt, daß man sich schon irgendwann fragt, was ein weltgewandter Mann wie Jeletzkij (Dean MURPHY hat im Vergleich zur Premierenserie stimmlich und darstellerisch einen Quantensprung nach vorne gemacht) eigentlich in ihr sieht, um ihr sein für die damalige Zeit fast unerhörtes Angebot zu machen, nämlich Freiheit in der Ehe. Von Langeweile in der Szene an der Newa wie in der Premierenserie keine Spur. Die Sängerin singt lange, sehr erfüllte Phrasen, nur in den Extremhöhen wird die Stimme dann dünner.
Das ist ein Problem, welches Igor GYNGAZOV als Hermann vollkommen unbekannt zu sein scheint. Solche bombensicheren und nicht eine Sekunde an Qualität verlierenden Spitzentöne hört man nicht alle Tage. Dazu kommt ein überzeugendes Spiel eines gequälten Außenseiters. Interessanterweise hat die Stimme in der unteren Mittellage nicht die gleiche Qualität wie in der Höhe, aber das fällt fast nicht auf. Der Tenor ist unbedingt eine Wiederbegegnung – vielleicht auch in italienischen Rollen? – wert.
Jennifer LARMORE wirkt als Gräfin stimmlich und darstellerisch außergewöhnlich jugendlich, man würde ihr auch die Mutter oder ältere Schwester von Lisa abnehmen. Sie hat dem in der Produktion angelegten Norma-Desmond-mäßigen Auftreten dieser Figur noch eine interessante an die jüngere Katharine Hepburn erinnernde Art, sich zu bewegen, hinzugefügt, was zeigt, wie unkonventionell die Gräfin in ihrer Jugend gewesen sein mag. Lucio GALLO wiederholte als Tomskij mit seiner Bühnenpräsenz und Stimmvolumen die durchdachte Interpretation eines irgendwo zwischen väterlichem Freund und älterem Mann in jüngerem Umfeld, der versucht, mit leicht vulgären Scherzen seine Position zu wahren.
Als Polina singt Marina BARONI großartig, tatsächlich wohl die wahre Erbin der jüngeren Gräfin in der Art, sich zu geben. Die Gouvernante war Nicola PICCOLOLIMI, auch in dieser Partie positiv in Erinnerung bleibend, Arianna MANGANELLO wiederholte ihre schon gelobte Mascha.
Ich hatte zur Premierenserie geschrieben, daß die Sänger von Tschakalinkji und Ssurin kaum zu übertreffen sein dürften. Chance JONAS-O’TOOLE wiederholte dieses Kunststück und hatte dieses Mal Padraic ROWAN an seiner Seite, mit dem er ein ebenso gutes Gespann bildete. Andrew DICKENSON, Michael BACHTADZE und Jörg SCHÖRNER waren ebenfalls wieder sehr erfreulich.
Das ORCHESTER DER DEUTSCHEN OPER BERLIN wurde von Juraj VALČUHA geleitet, der sicherlich eines der besten Live-Tschaikowski-Dirigate meiner Opernkarriere hören ließ. Soviel Gefühl für die Musik, für die Nuancen, den Sängern die notwendigen Freiheiten lassend, aber trotzdem eigene Akzepte setzend. Eine wirklich vom ersten Ton des Stücks rundum überzeugende Leistung, die auch am Ende entsprechend gefeiert wurde. Der CHOR erfüllte seine Aufgaben auf hohem Niveau.
Es war ein Abend, den man nicht anders als erfüllend bezeichnen kann. MK