„Hamlet“ – 5. Oktober 2019 (Schauspielhaus)

Wahnvorstellungen in Düsseldorf, Volume 2

Da hat an einen freien Abend in einer fremden Stadt und überlegt, wie dieser verbracht werden kann. Im Veranstaltungskalender stößt man auf „Hamlet“ und stolpert über den Namen der Band, welche die Musik beisteuert: WOODS OF BIRNAM. Die Neugier war geweckt, eine Karte erworben.

Und wie es manchmal passiert, wenn man so ohne große Erwartungen sich eine Vorstellung ansieht, war ich unglaublich fasziniert. Ich bin kein Fan von Eingriffen in den Text, in den meisten Fällen führt es eigentlich dazu, daß ich genervt geistig abschalte. Wenn es allerdings so intelligent gemacht ist wie hier, schmelzen meine Einwände dahin.

Roger VONTOBELs Inszenierung hatte bereits 2012 in Dresden Premiere und wurde 2019 für Düsseldorf neu eingerichtet. Der Teil vor der Pause spielt in einem Theater (Bühne Claudia ROHNER). Hamlet hat zu einem Tributkonzert für seinen toten Vater eingeladen. Dabei singt er unter anderem „I call thee Hamlet“, wo er mit dem Geist seines Vaters, der nicht auftritt, kommuniziert. Zum Konzert haben sich in den Logen seine Mutter, sein Onkel, Polonius nebst seinen beiden Kindern und Rosenkranz und Güldenstern eingefunden, ein Teil von ihnen eher widerwillig. Während Hamlet spielt, singt und spricht, spielen sich die Szenen, bei denen er eigentlich nicht anwesend ist, oben in den Logen ab. Daß Hamlets Geisteszustand nicht der stabilste ist, erkennt man spätestens daran, wie häufig er von der Bühne flieht und von Horatio, der offenbar als sein Stage Manager fungiert, fluchend zurückgeholt werden muß. Nach der Pause verwandeln sich die Theaterlogen in verschiedene Räume des Schlosses und fahren für die Friedhofsszene zurück. In dieser wird dann deutlich, daß Hamlet tatsächlich nicht mehr Herr seiner Sinne ist.

Christian FRIEDEL ist in der Titelrolle ein absolutes Ereignis. Diese tour de force, den Abend gesanglich und auch darstellerisch fast alleine zu tragen, schafft er scheinbar mühelos, wobei er in jeder Sekunde zu fesseln vermag. Die ganze Last des ja schon im Original geradezu irrwitzigen Finales zu spielen, indem er sämtliche Rollen verkörpert, sich in Haltung und Sprachduktus den anderen Personen annähert, das macht atemlos. Er singt dazu sehr gut, auch die verschiedenen Stile zwischen folkiger Ballade und Punkrock meistert er. Nach diesem Abend kann ich mir nicht vorstellen, daß „Something is rotten in this f***ing state of Denmark“ anders gebracht werden könnte denn als Punknummer.

Die anderen Figuren müssen aufgrund dieser Leistung und der allein durch Hamlet durchlebten Finalszene in den Hintergrund treten. Daß sie dennoch präsent bleiben, ihre Momente haben, und man sich plastisch an sie erinnert, spricht für die große Qualität der Schauspieler Christian ERDMANN (Claudius), Claudia HÜBBECKER (Gertrud), Cennet Rüya Voß (Ophelia und Totengräber), Thomas WITTMANN (Polonius), Florian LANGE (Laertes), Kilian LAND (Horatio), Chris ECKERT (Rosenkranz) und Kai GÖTTING (Güldenstern).

Besonders erwähnen muß man noch die grandiosen Mitglieder von Woods of Birnam, neben Christian Friedel (Gesang/Klavier), Ludwig BAUER (Klavier/Synthesizer), Philipp MAKOLIES (Gitarre), Christian GROCHAU (Schlagzeug) und Uwe PASORA (Baß).

Wer die Chance hat, dieses Theaterereignis zu sehen, sollte es sich keinesfalls entgehen lassen. MK