„Der fliegende Holländer“ – 9. Oktober 2022

„Das war doch einfach wieder einmal… schön…“, sagte die ältere Dame neben mir, als der Vorhang gefallen war. Und besser kann man dieses Wagner-Erlebnis in Duisburg eigentlich nicht auf den Punkt bringen.

Regisseur Vasily BARKHATOV ist die Balance zwischen der von ihm auf das Stück projizierten Idee und Werktreue fulminant gelungen. Seine Inszenierung begeisterte mit stringenter Erzählweise und musikalischem Gespür. Hinzu kam, daß man sich in den Figuren wiederfinden, mit ihnen erleben und ihrem Erleben folgen konnte.

Zinovy MARGOLIN schuf mit seinem Bühnenbild den vollkommenen Raum für dieses Erleben, der in seiner Wandelbarkeit so manche Überraschung barg, vor allem aber das präzise Timing für die Regie-Ideen ermöglichte. Unterstützt wurde dies vom kongenialen Lichtdesign Alexander SIVAEVs und den einfallsreichen Kostümen von Olga SHAISHMELASHVILI.

Die Genialität dieser Produktion läßt sich schwer in Worte fassen, wenn man nicht allzu viel spoilern möchte. Wagners Geschichte über Erlösung und deren Scheitern (oder eben nicht – je nach Interpretation) wurde hier in die Moderne transferiert, und doch wird eine Geschichte so alt wie die Menschheit erzählt. Senta und ihre Schwärmerei für den Holländer sind Dreh- und Angelpunkt einer emotionalen Reise.

Gabriela SCHERER warf sich mit vollem Einsatz in Partie und Konzept. Die Sängerin verfügt über eine warme, volltönende Stimme mit überragendem Facettenreichtum und einer Strahlkraft, die sie zu einer der interessantesten Vertreterinnen Ihres Fachs macht. Man wird nicht müde, ihr zuzuhören und mit Spannung der Reise ihrer Figur zu folgen. Stets präsent, ohne je aufdringlich zu wirken, beherrscht sie die Szene. Die jungen Damen, die Senta im jüngeren Alter verkörperten, standen ihrer erwachsenen Kollegin in Bühnenpräsenz in Nichts nach.

Ihnen zur Seite hatte James RUTHERFORD als Holländer auch sichtlich Spaß an der diesmal so anderen Sichtweise der Figur, brachte die Überschneidungen zwischen Tradition und Aufführung aber trotzdem gut zum Tragen. Die gut ausgearbeitete und exzellent dargebrachte Balance zwischen Text und Gesang zeigte ein tiefes Verständnis für den musikalischen Teil der Partie, der trotzdem der Transformation des Stückes so nicht auf der Strecke blieb. Man hörte das Leiden der Figur, das Senta so berührt, ebenso wie die Hoffnung in einer ausgezeichneten Interpretation.

Auch tenoral hatte Duisburg mit Norbert ERNST als Erik und David FISCHER als Steuermann viel, sehr viel Positives zu bieten. Ersterer empfahl sich einmal mehr für dieses Fach, ohne dies ausschließlich zu bedingen. Klangschönheit und Kraft gehen hier einher als sei es gar nichts, Eriks Ausbrüche ebenso perfekt zu Gehör zu bringen wie die so gestalteten besonnenen Momente. David Fischer verfügt bereits über eine überaus potente Stimme, die mit ihrem sauberen Klang und sicher geführt neugierig auf mehr machte.

Hans-Peter KÖNIG war mir persönlich als Daland zu sehr norwegischer Kaufmann. Ja, die Figur ist natürlich genau das, aber für meinen Geschmack blieben die italienischen Anklänge der Partie dabei zu sehr auf der Strecke. Susan MACLEAN sang und spielte Mary solide wie rollenkonform schrullig.

Der CHOR der Deutschen Oper am Rhein (Chorleitung: Patrick Francis CHESTNUT) erwies sich als grandios in Gesang und Spiel. Auch in Duisburg scheint der Chor mit am besten durch die beiden Corona-Jahre gekommen zu sein und sich mit unbändiger Lust in die Arbeit zu stürzen.

Gischt hörte man nicht wirklich aus dem Orchestergraben spritzen, doch Patrick LANGE leitete den Abend souverän, sängerfreundlich und über weite Strecken ambitioniert. Die DUISBURGER PHILHARMONIKER hinterließen einen durchaus guten Eindruck. Einzig die Bläser ließen einige Schwächen vernehmen.

Es steht zu hoffen, daß diese Produktion der DOR lange erhalten bleibt – nicht allein, weil sie wunderbar zeigt, wie werkgetreu eine neue Sichtweise sein kann, sondern vor allem, weil sie eben einfach Spaß macht. AHS