„Simon Boccanegra“ – 12. Mai 2018

Das ist schon ein brilliantes Stück Musiktheater, was Regisseur Dirk SCHMEDING da geschaffen hat. Eine klarere Inszenierung des immer einmal wieder als „wirr“ und „unglaubwürdig“ bezeichneten Stücks kann es kaum geben. Dabei wird hier gar nicht einmal auf irgendwelche großartigen Konzepte oder Neudeutungen gesetzt, das Stück wird schlichtweg erzählt, und plötzlich dürfte es niemandem mehr schwerfallen, der Geschichte folgen zu können.

Die Bühnenbilder von Stephan VON WEDEL sind schlicht, haben wenig Requisiten, aber dennoch große Wirkung. Das Vorspiel ist dunkel, fast unheimlich mit Nebelfetzen, das erste Bild des ersten Akts hätte mich fast aufschreien lassen, weil es tatsächlich die Terrasse auf einem Felsen über dem Meer im Morgenlicht zeigte, die Verdi komponiert hat und auf deren visuelle Umsetzung ich mein ganzes Opernleben gewartet habe. Der Thronsaal ist funktional und bietet ausreichend Spielfläche. Der Schluß wird dann vor den Vorhang gezogen, auf dem, wie schon einige Male vorher, Meer im Sturm zu sehen ist. Das ist vielleicht der einzige Einwand, daß dies auf Dauer beim Duett Simon/Fiesco und Simons Sterben ein wenig zu unruhig ist. Die Kostüme von Frank LICHTENBERG sind kleidsam, die Sänger wirken, als würden sie sich darin wohlfühlen.

Aber das, was diese Produktion wirklich außergewöhnlich macht, ist die durchdachte auf den Punkt genau inszenierte Personenregie von Dirk Schmeding. Um zu zeigen, daß viele Jahre zwischen Vorspiel und erstem Akt vergangen sind, läßt der Regisseur zunächst Amelia als kleines Mädchen erscheinen. Ihr folgt dann die erwachsene Amelia, die jedoch nicht widerstehen kann genauso wie früher die Balustrade entlangzubalancieren. Fiesco ist dabei, Amelia und Adorno heimlich zu verheiraten, als sie durch die Ankunft des Dogen unterbrochen werden. Wenn Simon und Amelia entdecken, daß sie Vater und Tochter sind, fallen sie sich nicht überglücklich in die Arme. Sie sind beide erst einmal vollkommen überfordert von der Situation und müssen sich zunächst langsam annähern. Amelia scheint Simon dann auch erst in der Ratsszene wirklich als Vater akzeptieren zu können, als er sofort begreift, wer für ihre Entführung verantwortlich gewesen ist. Daß mit Paolo noch mehrere weitere Personen zu ihrer Hinrichtung geführt werden, gibt einen diskreten Hinweis, daß Simons Regime nicht ganz so friedliebend ist, wie man denken könnte, ohne daß einem dieser Gedanke mit dem Holzhammer eingeprügelt wird.

Die letzte Begegnung mit Natalie KARL lag weit mehr als ein Jahrzehnt zurück. Bei den ersten Tönen dachte man noch für einen Moment, ob die Stimme nicht vielleicht zu lyrisch sein könnte, wurde dann jedoch eines besseren belehrt, als man feststellte, daß es zur Interpretation gehört. Ihre Amelia ist zu Beginn eher schüchtern, sich sehr bewußt, daß sie eigentlich nur der „Ersatz“ für die verstorbene Grimaldi-Tochter ist und gewinnt mit fortlaufender Handlung auch durch das Wissen, wer sie eigentlich ist, immer mehr eigene Statue. Am Ende ist man sich sicher, daß eher sie als Adorno Genua regieren wird. Sie durchmißt die Rolle ohne Schwierigkeiten und kann die Stimme ausreichend aufblühen lassen.

Zudem paßt sie perfekt zu dem Simon von Lucio GALLO. Was diese beiden als Zusammenspiel im Duett oder in der Ratsszene zeigen, ließ einen auf der Stuhlkante sitzen. Vor einigen Jahren in Frankfurt spielte Gallo einen Dogen, dem man sehr genau noch seine Vergangenheit als Korsar ansieht. Hier hat er längst resigniert und scheint sich zu fragen, warum die Diskussionen eigentlich die gleichen wie vor fünfundzwanzig Jahren sind, und was er erreicht hat. Er durchmißt die Rolle mit grandioser Diktion, allein der Moment in der Ratsszene, bevor er Paolo sich selbst verfluchen läßt, war ein Meisterwerk an Phrasierung. Sein eigentlich schon zu Beginn des zweiten Akts beginnendes Sterben war ergreifend.

Als Fiesco gab es eine Wiederbegegnung mit Seokhoon MOON, bei dem man kaum glauben kann, wie gut der junge Baß eigentlich ist. „Il lacerato spirito“ war von der ersten Sekunde perfekt mit einer exzellent fokussierten Stimme gesungen. Wir waren in seinen Lübecker Zeiten schon immer der Meinung, daß es lohnte, ihn im Auge zu behalten, aber diese Leistung war noch einmal ein echter Quantensprung. Nach diesem Abend möchte man nur noch mehr von ihm hören.

Nicht auf dem gleichen Niveau wie diese Drei war Sung-Kyu PARK als Gabriele Adorno. Er bemühte sich zwar, an große Vorbilder heranzukommen sowohl in Phrasierung als auch Spiel, aber es fehlte hier doch noch einiges für ein dauerhaft in Erinnerung bleibendes Rollenporträt. Dafür waren es dann doch zuviele mit zuviel Kraft heraustrompetete Töne und zu wenig Bemühen um die Figur selbst.

Krzysztof SZUMANSKIs Paolo war hingegen ein würdiger Gegner für die drei erstgenannten. Die Stimme selbst scheint nicht sonderlich groß zu sein, aber was der Sänger damit macht, ist beeindruckend. Man konnte ihm ohne weiteres glauben, daß er fünfundzwanzig Jahre die Macht hinter Simons Thron gewesen ist, ohne in seiner Bösartigkeit aufzufliegen.

Bei den kleineren Rollen fielen Anja BILDSTEIN als sehr präsente Zofe Amelias und Isabella Tamina KERSTES als junge Amelia/Maria positiv auf, als Pietro und Hauptmann komplettierten Georg FESTL und Michael PEGHER.

Der CHOR und EXTRACHOR DES STAATSTHEATERS DARMSTADT zeigte sich auf ebenso hohem Niveau wie das STAATSORCHESTER DARMSTADT. Michael NÜNDEL leitete den Abend mit viel Übersicht und Verständnis für die Musik, immer sängerfreundlich, aber mit eigenen Akzenten. MK