Die erste Überraschung bei unserem Besuch am Staatstheater Braunschweig war die Tatsache, daß es außerplanmäßig zu einer konzertanten Aufführung kam. Die zweite Überraschung war die gelungene musikalische Umsetzung sowie eine Besetzung, die sich nicht um die fehlende Bühne scherte, sondern auch darstellerisch das beste daraus machte.
Nicht nur in letzterer Beziehung ist das außergewöhnliche Talent von Yanyu GUO als Amneris zu loben. Jeder Zoll eine Königstochter verfügt die Sängerin über einen in jeder ausgeglichenen, jedem dramatischen Ausbruch gewachsenen Mezzo. Besonders spannend war es anzusehen und -zuhören, wie sie ihre Stimme von Zorn zu aufgesetzte Freundlichkeit modulierte und dies auch mit minimaler Änderung der Körperhaltung für jeden sichtbar machen konnte. Einen Glanzpunkt setzte sie mit Jan VACIK (Radames) in der Gerichtsszene. Beide mit einer unglaublichen Intuition für den anderen ausgestattet, schufen sie ein greifbares Bild der dargestellten Situation.
Zu Beginn des Abend hatte man den Eindruck, Jan Vacik würde seine Stimme über ihre eigentliche Größe hinaus forcieren, doch spätestens nach der Pause konnte man sich trotz einer noch nicht auskurierten Grippe von tenoraler Strahlkraft und einem sicher geführten Organ (Ton singen, husten, Ton ohne neuen Ansatz weitersingen) überzeugen. Angenehm war auch die Spielfreude des Künstlers, die ansteckend auf seine Kollegen wirkte. Der schmale Raum vor dem Orchester wirkte oft zu eng für den Bewegungsdrang des Sängers.
Kirsi TIIHONEN (Aida) lief leider erst im Nilakt zu Höchstform auf. Vor der Pause wirkte sie über weite Strecken unmotiviert. Schade, nennt sie doch über eine tragfähige, in allem Lagen gut ansprechende Stimme mit warmen Timbre und angenehmen Piani ihr eigen. Mitreißend war sie in der Auseinandersetzung mit Amonasro, wo sie auch erstmals echte Gefühle zeigte.
Erik STUMM (Amonasro) verfügt über eine exzellente Diktion und bedeutend mehr Drive, als er beim erstmaligen Betreten der Bühne vermuten ließ. Seine rollenkonforme Interpretation, bauernschlaues Agieren im Triumphakt, Autorität und Durchsetzungsvermögen gegenüber Aida, wurde mit einer akzeptablen musikalischen Wiedergabe in Einklang gebracht. Nur hin und wieder kam es zu Koordinierungsproblemen mit dem Dirigenten.
Als Ramphis erweckte Frank VAN HOVE den Eindruck, die Partie liege nicht allzu günstig für ihn. Trotzdem gelang es dem Sänger, die Figur des machtgierigen Oberpriesters vor dem inneren Auge erscheinen zu lassen. Mario KLEIN als König verfügt über gutes Material, welches leider mit zu viel Vibrato eingesetzt wird.
Die schlechteste Leistung des Abends kam von Kenneth BANNON als Boten mit meckerigem Krähtenor. Hingegen war Yuka MATSUOKA als Priesterin der reinste Luxus. Sie war die erste Sängerin, die wir in dieser Partie hörten, die die Rolle sogar gestaltete.
Das STAATSORCHESTER BRAUNSCHWEIG machte seine Sache gut, wobei es die üblichen Patzer bei den Aida-Trompeten gab. Generell waren die Streicher des Orchesters besser in Form als die Bläser. CHOR und EXTRA-CHOR DES STAATSTHEATER BRAUNSCHWEIG
Über allem thronte Dirigent Gerd SCHALLER, der mit vollem Körpereinsatz beinahe tänzerisch, mit sichtlicher Liebe zu jeder einzelnen Note. Engagiert und mit Feuer, doch niemals zu laut, sängerfreundlich, aber mit eigenen Akzenten trug er entscheidend zum Gelingen des Abends bei. Dieser Abend dürfte nicht der letzte in Braunschweig für uns gewesen sein. AHS/MK
P.S. Schade war nur, daß die Aufführung so überaus schlecht besucht war. Gibt es in Braunschweig kein Interesse an der Oper oder lag es an der konzertanten Darbietung?