„Arianna in Creta“ – 15. Mai 2009

Seit 2006 gibt es im Braunschweiger Land unter dem Titel „Soli Deo Gloria“ ein kleines, aber feines Barockfestival, das nach einigem zeitlichen Hin und Her nun auch einen festen Platz im (Kirchen)-Kalender gefunden hat, die Woche um Himmelfahrt herum. Dieses Jahr stand naturgemäß im Zeichen Georg Friedrich Händels (es sei denn, man befindet sich an der Hamburgischen Staatsoper, wo man nach der von Intendantin Simone Young in einem zu Jahresbeginn ausgestrahlten Fernsehfilm beredt angepriesenen „Radamisto“-Produktion vergeblich sucht; sie steht in diesem Jahr nicht mehr auf dem Spielplan …).

Für das Braunschweiger Eröffnungskonzert stand mit der im Januar 1734 uraufgeführten „Arianna in Creta“ ein Werk auf dem Programm, das im Gegensatz zu seinem Umfeld („Orlando“ 1732, „Ariodante“ 1734, „Alcina“ 1735) sehr schnell und gründlich in Vergessenheit geraten ist. Gelegen haben mag das an den damaligen Umständen; das gerade neu gegründete Konkurrenzunternehmen, zu dem ein Teil von Händels Sängern (u. a. Senesino) gewechselt waren, hatte bei seiner Eröffnung fünf Wochen vorher mit Porporas „Arianna in Nasso“ auch noch dieselbe Thematik behandelt. Direkte Folgeaufführungen scheinen jedenfalls nur für den Herbst 1734 im Covent Garden und 1737 in Braunschweig – das damals eine florierende Residenz mit einem kunstsinnigen Herzog war – nachweisbar zu sein.

Das Libretto nach Pietro Pariati bietet vor dem Hintergrund der Minotaurus-Sage die üblichen Liebes- und Eifersuchtsverwicklungen, denen der Zuhörer bei einer konzertanten Aufführung ohne Übertitel einigermaßen verständnislos ausgeliefert ist, zumal er im Programmheft nicht einmal eine Inhaltsangabe geliefert bekommt. So muß sich der des Italienischen Unkundige selbst zusammenreimen, daß es sich bei Alceste nicht etwa um die von Gluck her bekannte Figur, sondern um eine Männerrolle (!) handelt (die Endung auf „e“ ist im Italienischen ja im Grundsatz geschlechtsneutral). Erkennbar ist dies nur daran, daß die Sopranistin ebenso wie die Interpretinnen des Teseo und des Tauride Hosen trägt.

Wer sich freilich davon nicht abhalten und Handlung Handlung sein ließ, der bekam Händel vom Feinsten, denn zusammen mit der ACADEMY OF ANCIENT MUSIC unter Christopher HOGWOOD hatte sich ein hochkarätiges Solistenensemble auf der Bühne des Braunschweiger Theaters versammelt. Für die erkrankte Angelika Kirchschlager war Kristina HAMMARSTRÖM als Teseo eingesprungen, wobei von „Ersatz“ keine Rede sein konnte, bot sie doch mit ihrem schlanken, warm timbrierten Mezzo neben einem locker perlenden Feuerwerk an Koloraturen auch noch eine höchst differenzierte Phrasierung in den langsamen Arien und eine äußerst dramatische Gestaltung der Rezitative. Da konnte man auch ohne Sprachkenntnisse zumindest den emotionalen Gehalt problemlos erfassen. Als absolut ebenbürtig erwies sich die Arianna von Miah PERSSON, weich im Klang, mit leuchtenden Höhen und wunderschönen Bögen.

Daß sich Sonia PRINA (Carilda) und Marina de LISO (Tauride) mit den zweiten Plätzen begnügen mußten, lag am Umfang der Partien, nicht am Können. Erstere besitzt einen echten Koloraturalt von wunderbar warmer Färbung und einer Beweglichkeit, bei der man aus dem Staunen kaum herauskommt; und letztere zeigte mit dunkel timbriertem, gleichwohl sehr metallischem Mezzo, daß sich gewaltige dramatische Attacke und barocker Gesangsstil sehr wohl vertragen.

Als wenig ergiebig erwies sich die Partie des Alceste. Lisa MILNE machte mit ihrem schön geführten, leicht neutralen Sopran das Beste daraus, wohl dem, der diese Qualität auch noch für solche Partien aufbieten kann. Einziger Wermutstropfen war Antonio ABETE, der den Minos mit finsterer Miene und rauhem Baß gab und sich bei seiner einzigen Arie sowohl mit der Intonation als auch mit den Läufen plagte.

Die Academy lieferte zu all dem unter Hogwoods jederzeit auf die Sänger achtender, gleichwohl nie im dramatischen Impetus nachlassender Leitung das klangliche Fundament, stilistisch kompetent und variabel im Klang, wodurch die erstaunlich vielfältigen Varianten, die Händel dem mit Streichern, Flöte, zwei Oboen, zwei Hörnern und Fagott nicht ungewöhnlich besetzten Orchester entlockt, hervorragend zur Geltung kamen. Auffällig war einmal mehr der bei britischen Orchestern hohe Anteil an Frauen auch an Instrumenten, die man nicht automatisch mit ihnen verbindet, so waren die Kontrabässe fest in Damenhand. HK